Vishy Anand hat im Schach fast alles erreicht, was man erreichen kann. Seit über 15 Jahren zählt er zur absoluten Weltspitze, er hat alle bedeutenden Turniere der Welt gewonnen, wurde im Jahr 2000 FIDE-Weltmeister und 2007 als Nachfolger Vladimir Kramniks der 15. Weltmeister der Schachgeschichte. Anand war der erste indische Großmeister überhaupt und seine Erfolge und sein Auftreten haben ihn in seiner Heimat zu einem Star gemacht und Indien einen Schachboom beschert. 2008 stand Anand auf der Höhe seines Ruhmes. Er war die offizielle Nummer eins der Welt und im Oktober 2008 konnte er seinen Weltmeistertitel in einem Wettkampf gegen Vladimir Kramnik souverän verteidigen. Doch Anand wusste natürlich, dass die aufstrebenden Talente ihn vom Weltmeisterthron stoßen wollten. Und da viele in Magnus Carlsen den zukünftigen Weltmeister sahen, ging es in jeder Partie zwischen Carlsen und Anand immer um mehr als nur Preisgeld, Elo oder Punkte in einem Turnier. Anand scheint das motiviert zu haben.
Vishy Anand 2008 (Foto: Nadja Woisin)
Nach ihrer Begegnung beim Corus-Turnier in Wijk aan Zee Anfang des Jahres 2008, in der Anand sein Gesamtergebnis gegen Carlsen in klassischen Partien auf 4:1 erhöht hatte, trafen die beiden beim Weltklasseturnier in Morelia/Linares erneut aufeinander.
Dieses Turnier zeigte einmal mehr, wie schnell sich Carlsen in der Weltspitze etabliert hatte. 2004 war der Norweger Großmeister geworden, vier Jahre später gehörte er in jedem Spitzenturnier zu den Favoriten. In Wijk aan Zee hatte er den ersten Platz mit Aronian geteilt, war aber vor Anand gelandet, in Morelia/Linares musste er sich wieder mit Platz zwei hinter Anand begnügen. Anand gewann mit 8,5 aus 14, Carlsen landete mit 8 aus 14 auf dem zweiten Platz, einen halben Punkt vor Levon Aronian und Veselin Topalov.
Während Anand mit vier Siegen, einer Niederlage (gegen Aronian) und neun Remis kontrolliert spielte, ging Carlsen mit 5 Siegen, 3 Niederlagen und 6 Remis stürmischer zu Werke. Und verlor einmal mehr gegen Anand – und wieder schien der Weltmeister seinem potentiellen Herausforderer zeigen zu wollen, was der alles noch lernen musste. Diesmal scheiterte Carlsen in der Eröffnung. Er konnte Anand mit einer Nebenvariante in einem bekannten Abspiel nicht überraschen und landete aus der Eröffnung heraus in einer wahrscheinlich bereits verlorenen Endspielstellung, die Anand mit guter Technik gewann.
Gesamtbilanz
Mit 1:5 ließ die Gesamtbilanz gegen Anand aus Carlsens Sicht nun doch zu wünschen übrig und es schien fast, als würde sich Anand allmählich zu Carlsens Angstgegner entwickeln. Jedenfalls begnügte sich Carlsen nach dieser ernüchternden Niederlage in der Rückrunde des Turniers mit einem schnellen und inhaltsleeren Remis.
Gesamtbilanz
Doch nur etwa zwei Wochen nach Ende des Turniers in Morelia/Linares trafen Anand und Carlsen wieder aufeinander, beim Melody Amber Blind- und Schnellschachturnier in Nizza. In diesem vom holländischen Schachmäzen Joop van Oosterom gesponserten Turnier traten einige der besten Spieler der Welt im Schnell- und im Blindschach gegeneinander an. Elo-Punkte konnte dabei niemand gewinnen oder verlieren, es ging „nur“ um Preisgeld und Prestige.
Der Miniwettkampf zwischen Anand und Carlsen beim Melody Amber Turnier endete 1:1 Unentschieden. Die Blindpartie gewann Weltmeister Anand mit taktischem Weitblick – wenn man das so sagen kann – in der Schnellpartie durfte Carlsen ein paar taktische Tricks zeigen.
Doch wer nach diesem unerwartet leichten Sieg geglaubt hatte, Carlsen würde Anand im Schnellschach den Rang ablaufen, wurde rasch enttäuscht. Denn im Sommer 2008 kam es bei den Chess Classic Mainz zum nächsten Schnellschach-Wettkampf der beiden und einmal mehr zeigte Anand Carlsen die Grenzen auf. In der Vorrunde eines Viererturniers setzten sich Anand und Carlsen gegen Judit Polgar und Alexander Morozevich durch und qualifizierten sich für das auf vier Partien angesetzte Finale. Das wurde nach den beiden Remispartien in der Vorrunde zu einer Demonstration Anands. Gleich in der ersten Partie überspielte der Inder Carlsen in der Drachenvariante, der Carlsen zuvor mit einigen hübschen Partien zu neuem Glanz verholfen hatte.
Auch die zweite Gewinnpartie Anands war ein souveräner Sieg des Weltmeisters. Anand hatte Schwarz und überspielte Carlsen in einem Katalanen aus ruhiger Stellung heraus.
Mit diesen beiden Siegen gewann Anand den Wettkampf klar mit 3:1. Nun, Carlsen war direkt vom Turnier in Biel nach Mainz gereist und dementsprechend müde, erschöpft und nicht wirklich in Form, vor allem, weil er im ersten Halbjahr 2008 bereits eine ganze Reihe von Turnieren gespielt hatte und dabei von Erfolg zu Erfolg geeilt war. Dennoch, die beiden Schnellschachniederlagen deuteten darauf hin, dass Carlsen gegen Anand einfach noch kein Rezept gefunden hatte und nicht wusste, was er gegen den Weltmeister machen sollte, der bislang in keiner Partie gegen ihn eine wirkliche Schwäche gezeigt hatte.
Magnus Carlsen in Bilbao 2008 (Foto: Nadja Woisin)
Das änderte sich beim Grand Slam Turnier in Bilbao im September 2008. Anand nutzte das Turnier als Vorbereitung auf den WM-Kampf gegen Vladimir Kramnik in Bonn im Oktober 2008 und vielleicht war Anand in Gedanken schon zu sehr beim WM-Kampf, vielleicht wollte er seine Eröffnungsgeheimnisse nicht preisgeben, aber auf Fälle lief in Bilbao für den Weltmeister nicht viel zusammen. Er gewann nicht eine einzige Partie, verlor zwei und landete mit acht Remis und 4 aus 10 auf dem letzten Platz.
Anands Formtief verhalf Carlsen zu einer guten Chance, seinen ersten Sieg im klassischen Schach gegen den Weltmeister zu erzielen – doch Carlsen verpasste diese Gelegenheit.
Verpasste gegen Anand eine gute Chance: Magnus Carlsen beim Grand Slam Turnier in Bilbao 2008 (Foto: Nadja Woisin)
Gesamtbilanz
Die Rückrundenpartie, in der Carlsen Weiß hatte, endete dann ohne große Aufregung mit Remis.
Gesamtbilanz
Ende 2008 hatten Carlsen und Anand bereits neun Partien mit klassischer Bedenkzeit gegeneinander gespielt und noch immer wartete Carlsen auf seinen ersten Sieg. Aber vielleicht war die von beiden Seiten überraschend schwach gespielte Partie aus der Hinrunde des Grand Slam Turniers in Bilbao ein Wendepunkt in den Begegnungen der beiden? Immerhin hatte Anand hier gegen Carlsen in einer klassischen Partie das erste Mal wirklich schwach gespielt und sich verwundbar gezeigt.
2009, beim Turnier in Linares, traf Carlsen wieder auf Anand. Ob es Carlsen dort gelang, gegen Anand zu gewinnen, erfährt man im nächsten Blogbeitrag über das Duell zwischen Magnus Carlsen und Vishy Anand.