Starkes Debüt: Dominique Manottis „Hartes Pflaster“
Dominique Manotti gilt als eine der interessantesten Krimiautorinnen der heutigen Zeit. Ihre Bücher haben in Frankreich, in Deutschland und in der englischsprachigen Welt Preise gewonnen und Auszeichnungen erhalten. Auf Deutsch erschien zuletzt Zügellos, im August 2013 auf Platz eins der Krimibestenliste der Zeit. Ihr Debüt feierte die Französin, die eigentlich Marie Noëlle Thibault heißt und am 24. Dezember 1942 geboren wurde, 1995 mit dem Roman Sombre Sentier, der in Frankreich gleich zum Krimi des Jahres 1995 avancierte. 2004 erschien die deutsche Übersetzung unter dem Titel Hartes Pflaster. Ein starkes Debüt.
Manottis erster Roman beginnt mit dem Mord an einem Kind, einer minderjährigen Prostituierten aus Thailand, die in Paris für einen Mädchenhändlerring arbeitet. Die Polizei findet ihre Leiche in einer Werkstatt, die Stoffe für die französische Modeindustrie herstellt. Die meisten Arbeiter dort sind illegale Immigranten, die ohne Papiere in Frankreich leben und arbeiten. Damit nicht genug: Bei der Durchsuchung der Werkstatt entdeckt die Polizei zudem noch Spuren von Heroin.
Das macht diesen Fall zu einer Aufgabe für Kommissar Théodore Daquin, Leiter einer speziellen Polizeigruppe zur Drogenbekämpfung und auch „Held“ von Manottis zweitem Roman, Zügellos. Auf der Suche nach dem Mörder des jungen Mädchens und der Drahtzieher des Drogenhandels stößt Daquin auf korrupte Polizisten, Waffen-, Drogen- und Mädchenhändler, Beamte, die lukrative Geschäfte mit gefälschten Papieren für illegal in Frankreich lebende Immigranten machen, sowie auf Verdächtige, die sich in den höchsten Kreisen der französischen Politik- und Geschäftswelt bewegen und Kontakte zum CIA und zur Regierung anderer Staaten unterhalten.
Geschichte
Den historischen Hintergrund des Romans bildet ein Streik im Pariser Viertel Sentier, mit dem illegal in Frankreich lebende Immigranten 1980 um eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis gekämpft haben. In einem ausführlichen Interview am Ende der deutschen Ausgabe von Hartes Pflaster verrät Manotti, wie dieser Streik sie inspiriert hat: „Hartes Pflaster war die Fortsetzung meiner politischen Arbeit. Ich war als Gewerkschafterin direkt in den Streik des Sentier 1980 verwickelt. Als ich mich entschlossen hatte, einen Roman noir zu schreiben, kam das Thema wie von selbst. Er musste während dieses Streikes spielen, ich musste eine geschriebene Spur dieses Streikes hinterlassen.“ (Elfriede Müller, „Zumindest Zeuge sein: Interview mit Dominique Manotti“, in Hartes Pflaster, Assoziation A, Berlin 2013, S. 309).
Dominique Manotti (Foto: Wikipedia-Eintrag zu Dominique Manotti)
In diesem aufschlussreichen Interview, das auch im Internet veröffentlicht wurde, spricht Manotti ausführlich über ihre politische Entwicklung und schildert ihre Sicht auf die französische Gesellschaft. Außerdem verrät sie, wie sie zum Schreiben gekommen ist und welche Rolle James Ellroy dabei gespielt hat. Über ihre Figuren sagt Manotti: „Meine Persönlichkeiten sind aktiv, Hoffnungsträger, aber auch verzweifelt. Aber die positiv gezeichneten Personen sind eher Zeugen als Akteure. Das entspricht sicherlich meiner eigenen aktuellen Position, zumindest Zeuge zu sein.“ (Hartes Pflaster, S.310)
Gebrochene Helden
Doch auch Manottis „positiv gezeichnete Personen“ sind ambivalente und gebrochene Figuren. Allen voran die Hauptperson des Romans, Kommissar Théodore Daquin. In Hartes Pflaster stellt sich Daquin schützend vor einen seiner Mitarbeiter, der eine Zeugin vergewaltigt hat und wendet bei Verhören ohne Zögern Gewalt an. Er schlägt und erpresst Verdächtige, um sie zur Zusammenarbeit zu bewegen und kennt auch sonst wenig Skrupel.
So setzt er den jungen Türken Soleiman, der aus der Türkei fliehen musste, weil er bei politischen Aktionen zwei Menschen umgebracht hat und in Paris zum Sprecher der streikenden Arbeiter geworden ist, mit einer Akte der türkischen Polizei unter Druck, um ihn als Informant zu nutzen und sexuelle Gefälligkeiten von ihm zu erpressen. Außerdem bricht Daquin im Laufe der Ermittlungen illegal in die Wohnung einer Verdächtigen ein, und ist dabei von der Aura der Frau so begeistert, dass er sie später, als er sie als Zeugin kennenlernt, verführt und ihr hilft, weitgehend ungestraft davon zu kommen.
Doch bei aller Brutalität und zielstrebigen Skrupellosigkeit ist Daquin zugleich ein aufmerksamer, einfühlsamer Zuhörer und sehnt sich nach Liebe und Zuneigung. So erkennt er während eines Verhörs, was eine Zeugin verschweigt und entlockt ihr mit Sensibilität und dem Schweigen im richtigen Moment wertvolle Hinweise. Auch seinen Informanten Soleiman erpresst er zwar, aber hilft ihm auch, als Soleiman von einem hochrangigen Pariser Polizisten zusammengeschlagen wird.
Aber wie Manotti sagt, sind ihre Hauptpersonen tatsächlich vor allem Zeugen. Denn obwohl Daquin am Ende herausfindet, wer das thailändische Mädchen umgebracht hat und wer in den Drogenhandel verstrickt ist, bleiben das doch nur vereinzelte und kurzfristige Erfolge im Kampf gegen das Verbrechen in einer Gesellschaft, in der Geld und Macht regieren, und in der die Menschen von ihrer Gier nach Sex, Lust, Macht und Genuss getrieben werden und keine Skrupel kennen, um diese Gier zu befriedigen.
Erzählerisch brillant
Diesem Grundmotiv aller Romane Manottis entspricht die bereits in ihrem Debüt ausgereifte erzählerische Form: kurze Beschreibungen einzelner Szenen, schnelle Schnitte, neutrale, rasante Beobachtungen dessen, was geschieht, von der Erzählerin nicht kommentierte Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt der Figuren, all das lediglich durch kurze Angaben von Ort, Datum und Uhrzeit in eine gewisse Ordnung und Reihenfolge gebracht.
Diese Erzähltechnik, die schnell von Szene zu Szene springt, die beobachtet, jedoch nicht wertet und die in Stil, Neutralität und Komplexität an die Fernsehserie The Wire erinnert, macht es Leserin und Leser nicht immer leicht. Doch Manottis Virtuosität, ihr Geschick, mit nur wenigen Strichen Personen und Handlungen zu beschreiben, sorgt zugleich für Spannung und macht ihre Romane so überaus lesenswert.
So ist Hartes Pflaster nicht nur ein starkes Debüt, sondern zugleich auch ein stilistisch innovatives und literarisch brillantes Porträt der modernen westlichen Gesellschaft. In ihren nachfolgenden Romanen hat Manotti diese Beschreibungen moderner westlicher Demokratien fortgesetzt und vertieft. Beschreibungen und gesellschaftliche Kritik, die um so beunruhigender wirken, wenn man weiß, dass Manotti lange Jahre politisch aktiv war und als Gewerkschaftsführerin Zeit und Gelegenheit genug hatte, Zeugin des politischen Betriebs zu werden.
Manotti, Dominique
Hartes Pflaster
Erstauflage 2004, Neuauflage 2012
Assoziation A
Aus dem Französischen von Ana Rhukiz
312 Seiten, Paperback, 14.00 €
Weiterführende Links:
Elfriede Müller: „Zumindest Zeuge sein: Interview mit Dominique Manotti“…
Düster und brillant: Dominique Manottis „Zügellos“…
Wikipedia-Eintrag zu Dominique Manotti…
Dominique Manotti beim Verlag Assoziation A…
Dominique Manotti beim Argument Verlag…
Webseite von Dominique Manotti (französisch)…
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