Na ja: Jeffrey B. Burtons “Der Schachspieler”
Zur Abwechslung ein wenig Werbung. Für eine gute Sache. Seit 1983 gibt Arno Nickel jedes Jahr den Schachkalender heraus, einen informativen, unterhaltsamen und praktischen Taschenkalender für Schachspieler. Neben kurzen biographischen Angaben über historische und aktuelle Schachgrößen, wichtigen Terminen und Adressen, Elo-Listen und Mannschaftsaufstellungen der Schachbundesliga enthält der Kalender jedes Jahr zahlreiche Artikel zum aktuellen und vergangenen Schachgeschehen. 2013 habe ich dort eine Rezension über Jeffrey B. Burtons The Chessman veröffentlicht, ein amerikanischer Thriller, der Anfang August unter dem Titel Der Schachspieler auf Deutsch erschien. So gesehen war der Schachkalender 2013 seiner Zeit sogar voraus.
Thrillerstrategien: Jeffrey B. Burtons „The Chessman“
Literarische Genres erinnern an Schacheröffnungen. Hier wie dort gibt es Muster und Motive, die wiederkehren und Genre oder Variante prägen. Versierte Spieler kennen die typischen Muster einer Eröffnung, wenden sie an und variieren sie nach Bedarf. Versierte Krimiautoren kennen die Muster ihres Genres, wenden sie an und variieren sie nach Bedarf.
Jeffrey B. Burtons Thriller The Chessman lädt zu diesem Vergleich ein, denn schon im Titel sucht er die Nähe zum Schachspiel. Zugleich enthält der Roman klassische Elemente des Kriminalromans, speziell des Serienkillergenres. Einen Ermittler, dessen Ehe gescheitert ist, weil er sich zu sehr in einen Fall vergraben hat, eine Liebesgeschichte, die sich im Laufe der Ermittlungen anbahnt, korrupte Politiker, verzogene Söhne reicher Eltern, Mafiakiller, Selbstmorde, die keine sind, falsche Fährten und ambivalente Allianzen zwischen Detektiv und Verdächtigen sowie einen intelligenten Serientäter, der Polizei und FBI vor fast unlösbare Rätsel stellt.
Bei Burton ist das der „Chessman“, ein Serienmörder, der Schachfiguren am Tatort zurücklässt. Als sein Gegner fungiert David Cady, FBI-Agent im Ruhestand, eröffnet wird der Roman mit dem Mord an einem hochrangigen Politiker. Da man eine Schachfigur am Tatort findet, glaubt das FBI, der „Chessman“ hätte drei Jahre nach seiner ersten Mordserie wieder zugeschlagen – obwohl diese Fälle nach dem Selbstmord des Hauptverdächtigen abgeschlossen zu sein schienen. Durch den Politikermord wird Cady, der den Chessman zuvor nicht fassen konnte, zur Wiederaufnahme der Partie eingeladen und bekommt eine Chance zur Revanche. Er rollt den alten Fall noch einmal auf, um den neuen Fall zu lösen.
Für Burton Anlass zu einer Reihe von Rückblenden und Zeitsprüngen, die möglicherweise die Analyse einer Schachpartie imitieren sollen, aber nicht für Spannung sorgen, sondern verwirren, denn ohne große Hilfe des Autors muss der Leser verfolgen, wer wann gerade gegen wen ermittelt und wer wen warum verhaften oder umbringen will.
Für Unübersichtlichkeit sorgt auch die Angewohnheit Burtons, immer wieder neue Charaktere einzuführen, von denen man vermuten darf, dass sie für den Verlauf der Geschichte wichtig sind oder werden könnten, was man allerdings nie wirklich weiß, denn nur selten gibt Burton seinen Lesern Gelegenheit, sich an diese neuen Charaktere zu gewöhnen. Sie tauchen auf, tun etwas und verschwinden wieder.
Cover der amerikanischen Ausgabe
Bei diesem bunten Mix an Figuren, Zeitsprüngen und Handlungssträngen braucht es eine gewisse Zeit, bis Ermittlung und Roman an Tempo gewinnen. Doch irgendwann weiß man, was der erfahrene Krimileser schon lange geahnt hat: der „Chessman“ ist nicht tot, sondern lebt, denn in diesem Genre sind Selbstmorde von Verdächtigen immer verdächtig und Serienkiller sterben vor dem Showdown mit ihrem Verfolger nicht.
Keine schöne Erkenntnis für den tapferen Cady, der dafür immerhin die nie völlig geklärte erste Mordserie lösen kann und eine neue Frau fürs Leben trifft. Zugleich lernt er im Laufe der Ermittlungen viel über seinen Gegenspieler und kommt ihm in mehr als einer Hinsicht gefährlich nahe. Auch der Leser wird schließlich belohnt: mit ein paar spannenden und gelungenen Szenen und einem zünftigen Showdown, in dem man erfährt, wer all die Leute waren, denen man im Laufe des Romans begegnet ist und ob sie zu den Guten oder zu den Bösen gehören.
Wer allerdings durch den Titel verlockt auf viel Schach im Roman hofft, wird enttäuscht. Ja, die Motive des „Chessman“ haben mit Schach zu tun, er hat gute Gründe, Schachfiguren am Tatort zu hinterlassen, aber wie so oft in Literatur, Werbung und Film, dient Schach in The Chessman vor allem als Symbol für kalte Intelligenz, skrupelloses strategisches Planen und kühle Kalkulation. Burton bedient sich dieser Symbolik, ohne sie in Frage zu stellen, zu verändern, zu bereichern oder ihr eine neue Bedeutung zu verleihen und begnügt sich so damit, Klischees über Schach und Schachspieler zu reproduzieren.
Auch hier erinnert der Thriller an eine Schacheröffnung: Muster, Motive und die Anfangszüge einer Variante zu kennen ist gut und schön, aber das allein reicht nicht, um eine gute Partie zu spielen. Wie man das macht, steht in keinem Buch und funktioniert nicht nach Rezept.
Cover der deutschen Ausgabe
Der Schachspieler
Thriller
Originaltitel: The Chessman
Originalverlag: MacAdam/Cage Publishing
Aus dem Amerikanischen von Norbert Jakober
Deutsche Erstausgabe
Taschenbuch, Broschur, 384 Seiten, 11,8 x 18,7 cm
8,99 Euro, ISBN: 978-3-453-43724-1
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