Romananfang 20 – E.M. Forster “A Passage to India”
Wie beschreibt man etwas, das man nicht greifen kann, das für einen formlos bleibt, auf das die Sicht versperrt scheint? Dieses Problem schien der englische Autor Edward Morgan Forster (geboren am 1. Juni 1879 in Marylebone, gestorben 7. Juni 1970 in Coventry) bei seinem Roman A Passage to India (auf Deutsch erschien das Buch unter dem Titel Auf der Suche nach Indien) zu haben. Das Buch spielt in den 1920ern und erzählt, wie zwei Engländerinnen, die junge Adela Quested und Mrs. Moore, die Mutter von Adelas Verlobten Ronny Heaslop, der in Indien als Kolonialbeamter arbeitet, in die englische Kolonie reisen.
Doch bereits der hier zitierte Anfang des Romans suggeriert, dass sich das, was Indien ausmacht, „the real India“, wie Adela im Roman mehrfach sagt, einer klaren Beschreibung und Festlegung entzieht. Dieses Gefühl des Durcheinanders, des Unerklärlichen – „muddle“ ist ein Lieblingswort von Forster – spielt auch in der zentralen Szene des Romans eine große Rolle. Auf Einladung des indischen Arztes Dr. Aziz, der Gastfreundschaft demonstrieren will, unternehmen Engländer und Inder einen gemeinsamen Ausflug zu den Marabar Caves. Diese Höhlen gelten als Sehenswürdigkeit, aber als die Gruppe die Höhlen besucht, können sie das Besondere an ihnen nicht erkennen. Sie sind leer, doch wirken gerade dadurch bedrohlich.
Die junge Adela wird von dieser Leere so überwältigt, dass sie einen Panikanfall bekommt, der zu zeitweiliger Amnesie führt, und sie nach dem Besuch der Höhlen dazu bringt, Dr. Aziz zu beschuldigen, er hätte sie sexuell belästigt. Bei der anschließenden Gerichtsverhandlung zieht sie diesen Vorwurf zurück, aber dennoch heizt der Vorfall die latenten Spannungen zwischen den Engländer und den Indern weiter an. Dr. Aziz’ Initiative eines freundschaftlichen Ausflugs ist gescheitert.
Das schwierige und spannungsreiche Verhältnis zwischen Engländern und Indern bildet ein zentrales Thema des Romans. Können Angehörige zweier Kulturen miteinander befreundet sein, können Engländer und Inder, können Anhänger unterschiedlicher Religionen friedlich zusammenleben – diese grundsätzlichen Fragen stellt Forster in Auf der Suche nach Indien.
Der Roman beantwortet diese Frage mit „Nein“. So unternehmen Fielding, eine der Hauptfiguren des Romans, und Dr. Aziz am Ende des Romans einen gemeinsamen Ausritt und sprechen bald über Politik.
[Aziz] rief: „Auf jeden Fall nieder mit den Engländern. Das ist sicher. Verschwindet, Jungs, so schnell ihr könnt, sage ich. Vielleicht hassen wir uns gegenseitig, aber euch hassen wir am meisten. Wenn ich nicht dafür sorge, dass ihr geht, werden das Ahmed oder Karim tun, auch wenn es 50 oder 500 Jahre dauert, bis wir euch los sind, ja, wir werden jeden verdammten Engländer ins Meer treiben, und dann“ – er ritt wütend gegen ihn – „und dann“, schloss er, und küsste ihn dabei halb, „dann werden du und ich Freunde sein.“
„Warum können wir nicht jetzt Freunde sein“, fragte der andere, und hielt ihn dabei liebevoll. „Das ist, was ich will. Das ist, was Du willst.“
Aber die Pferde wollten es nicht – sie stoben auseinander; die Erde wollte es nicht, und schickte Steine, durch die Reiter hintereinander reiten mussten; die Tempel … das Gefängnis, der Palast, die Vögel, das Aas, das Gasthaus, das in Sicht kam: sie wollten es nicht, sie sagten mit ihren Hunderten von Stimmen, „Nein, noch nicht“, und der Himmel sagte, „Nein, nicht da.“
Als Forsters Roman 1924 erschien, warf man ihm vor, er würde ein zu negatives Bild der Engländer zeichnen. Doch im Laufe der Zeit mehrten sich die Stimmen, die Forster vorwarfen, sein Roman zeichne ein zu negatives Bild von Frauen und vor allem würde er Indien mit den Augen des Kolonisators, des Engländers sehen, als exotisch, fremd, unverständlich und geheimnisvoll.
Diese Kritik entbehrt nicht einer gewissen Ironie, denn sie beantwortet die von Forster in dem Roman gestellte Frage, ob es Freundschaft und Toleranz zwischen den Angehörigen verschiedener Kulturen geben kann, ebenfalls mit einem „Nein“ – denn wie soll ein Engländer, ein Angehöriger der Kolonialmacht, angemessen über Indien und die Inder schreiben können?
Forster selbst hatte lange Reisen nach Indien unternommen und seine Bewunderung für Indien ist im gesamten Roman zu spüren –nicht zuletzt ist der indische Arzt Dr. Aziz die am positivsten gezeichnete Figur der Erzählung.
Auf der Suche nach Indien ist ein Appell für Toleranz und Akzeptanz, doch angesichts der unversöhnlichen Kritik an den Schwächen des Romans, die auch der Zeit geschuldet sind, in der Forster lebte und geschrieben hat, kann man eigentlich nur glauben, dass sich die am Ende des Romans gemachte pessimistische Prognose über die Möglichkeit, dass Angehörige unterschiedlicher Kulturen friedlich zusammenleben können, bewahrheitet.
E.M. Forster, A Passage to India. Die Übersetzung der hier zitierten Passagen stammt von mir.
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