Denkwürdige Partien: Donald Byrne gegen Bobby Fischer, New York 1956
Kurz vor Weihnachten erschien der neue KARL, die vierte und letzte Ausgabe des Jahres 2017, Schwerpunkt „Denkwürdige Partien“. Das Cover zeigt eine Fotocollage mit dem Partieformular einer der berühmtesten Partien der Schachgeschichte: Donald Byrne gegen Bobby Fischer, gespielt am 17. Oktober 1956 im Marshall Chess Club in New York, in Runde 8 des Lessing Rosenwald Gedenkturniers. Bobby Fischer war damals 13 Jahre alt und diese Partie machte ihn auf einen Schlag berühmt. Auch über 60 Jahre später wirkt sie noch frisch und eindrucksvoll.
Das Lessing Rosenwald Gedenkturnier war das erste ernsthafte Rundenturnier in Fischers Karriere. Er durfte mitspielen, weil er drei Monate zuvor die US-amerikanische Jugendmeisterschaft gewonnen hatte. Mit Spielern wie Samuel Reshevsky, Arthur Bisguier und Edmar Mednis war das Turnier stark besetzt und der junge Fischer musste Lehrgeld zahlen: er landete am Ende mit 4,5 aus 11 (2 Siege, 5 Remis, 4 Niederlage) auf dem geteilten achten bis zehnten Platz. Platz eins ging an Reshevsky. Mit 8 Siegen, einer Niederlage und zwei Remis kam er auf 9 Punkte aus 11 Partien und hatte damit zwei ganze Punkte mehr als der zweitplatzierte Bisguier.
Doch die Partie des Turniers war zweifelsohne Fischers Sieg gegen Byrne und ohne diese Partie wäre das Turnier heutzutage wahrscheinlich fast vergessen.
Bent Larsen meinte abschließend: „Eine der besten Partien eines 13-jährigen Jungen in der Schachgeschichte“ (Larsen, Alle Figuren greifen an, S. 243) und dieses Urteil gilt heute noch, trotz der vielen schönen Partien, die die phantastisch starken 13-jährigen, die nach Fischer kamen, seitdem gespielt haben.
Schachzeitungen in aller Welt veröffentlichten Fischers Glanzleistung und machten die Schachwelt auf das Talent des jungen Amerikaners aufmerksam. Hans Kmoch, Internationaler Meister, Schachjournalist und Autor des Kultbuchs Kunst der Bauernführung, war Schiedsrichter beim Lessing Rosenwald Turnier und ernannte Fischers Meisterleistung ohne Scheu vor Übertreibung und ohne allzu große Rücksichtnahme auf mögliche andere Kandidaten kurzerhand zur „Partie des Jahrhunderts“. Doch Übertreibung hin oder her – der Titel blieb haften und sicherte der Partie anhaltenden Ruhm.
Das Cover der Chess Review Ausgabe vom Dezember 1956. Fischer denkt über 17…Le6 nach.
Der ideelle Wert und die historische Bedeutung dieser Partie ist tatsächlich groß, aber richtig wertvoll ist das Partieformular. Hierzu schreibt Frank Brady, der Biograph Fischers:
In wichtigen Turnieren gibt es zu jedem Partieformular normalerweise einen Durchschlag, wobei das Original bei Turnierorganisation oder Schiedsrichter verbleibt …. Den Durchschlag behält der Spieler. … Bobby behielt seine Kopie – den Durchschlag – und hatte sie jahrelang immer bei sich. Wurde er darum gebeten, dann zog er das gefaltete und etwas ramponierte Formular manchmal aus der Tasche und zeigte es Bewunderern. Aber was geschah mit dem Original?
Kmoch, der Schiedsrichter, hatte erkannt, dass Bobby ein werdender Champion war und hatte bereits damit begonnen, die Originalformulare des Wunderkinds zu sammeln als wären es frühe Rembrandt-Zeichnungen. Und irgendwie, wahrscheinlich gegen Geld, erhielt [der Sammler David Lawson] von Kmoch das Originalformular …. Nach Lawsons Tod wurde das Partieformular von einem Sammler gekauft, wieder verkauft, und in den letzten Jahren lag es bei noch einem weiteren Sammler. Der Auktionspreis für das Originalformular liegt heute bei geschätzten 100.000 Dollar.“ (Frank Brady, Endgame, Crown Publishers 2011, S. 65, meine Übersetzung.)
Fischers Partieformular – das “0-1” in rot hat Hans Kmoch hinzugefügt.
Der Sieg gegen Donald Byrne ist eine der berühmtesten Fischer-Partien, aber trotzdem fehlt sie in Fischers Partiensammlung Meine 60 Denkwürdigen Partien, denn – warum auch immer – nahm er in diese Sammlung nur Partien auf, die er zwischen 1957 und 1967 gespielt hat.
Siehe auch:
Bobby Fischer hat Geburtstag
Bobby Fischer: Bücher über einen Mythos
Scheinbar einfach: Bobby Fischer at His Best
Faszination Fischer
Mehr als nur eine Schachpartie
- Die Lieblingsbücher von David Foster Wallace
- Zufällige Zitate: Mark Billingham über “Books that made me”
Immer wieder ein Genuss:
ein Artikel in diesem Blog lesen, eine Partie nachspielen, einen Kaffee trinken, einen Kuchen essen …
Gruß vom Ex-Präsident und amtierenden Patzer
Ich kann von der Notation nicht auf die Partie schließen. Gab es damals ein anderes System oder hatte Fischer für sich seine eigene Notation erfunden?
Hallo Stephan! Danke für die Nachfrage und entschuldige die verspätete Antwort – die letzten Wochen waren hektisch. Die Notation auf dem Partieformular ist keine Erfindung von Fischer, sondern die sogenannte “beschreibende Notation”, die bis ungefähr Anfang der 80er Jahre in den USA und in England gebräuchlich war. Auch Schachbücher wurden unter Verwendung dieser Notation geschrieben. Zum Glück ist das vorbei! Mehr zur “beschreibenden Notation” oder “descriptive notation” weiß die englischsprachige Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Descriptive_notation