Strategeme – Das Geheimnis des chinesischen Schachs?
1978, zwei Jahre nach dem Tod Mao Zedongs, nahm China im Zuge der allmählichen Öffnung des Landes das erste Mal an einer Schacholympiade teil. Damals gab es in China keinen einzigen Großmeister und nur zwei Spieler der Olympiamannschaft hatten eine Elo-Zahl. Heute zählt China zu den führenden Schachnationen der Welt und GM Wang Hao, Chinas Nummer eins, liegt in der Weltrangliste auf Platz 16. Wie viel Potenzial er hat, bewies er beim Norway Superchess Tournament 2013, wo er in den beiden letzten Runden gegen Magnus Carlsen, die Nummer eins der Welt, und Weltmeister Vishy Anand gewann. Aber wie wurden die Chinesen in so kurzer Zeit so gut? Liegt es an der systematischen Suche und Schulung der Talente? Oder daran, dass ein Land mit so viel Menschen rein statistisch einfach mehr Schachtalente hervorbringt? Oder doch an etwas speziell Chinesischem wie den 36 Strategemen, lange geheimen Ratschlägen für Erfolg in Beruf- und Privatleben?
Wie man bei Wikipedia erfährt, gehen die 36 Strategeme auf den 436 nach Chr. gestorbenen General Tan Daoji zurück. Den Deutschen verriet der Sinologe Harro von Senger diese raffinierten Tricks – in Vorträgen, Zeitschriftenartikeln und Büchern. Eins davon trägt den Titel Strategeme: Lebens und Überlebenslisten aus drei Jahrtausenden und wenn man den Klappentext liest, fragt man sich, wie man ohne diese Strategeme bislang im Leben überhaupt zurecht gekommen ist. Denn sie „durchdringen so gut wie alle Bereiche menschlichen Lebens [und] wer sie beherrscht, schafft sich Vorteile, die ihm in vielfältigen gesellschaftlichen Bereichen nützlich sind. Politiker bedienen sich ihrer ebenso wie Schriftsteller, Juristen oder auch Mann und Frau in ihren Beziehungen.“
Ausführlich erklärt von Senger die 36 Strategeme samt ihrer Herkunft und Bedeutung und erzählt unendlich viele Geschichten über Intrigen und Täuschung in Krieg, Wirtschaft und Privatleben, um Macht und Wirkung dieser Listen zu demonstrieren. Geschichten über das Schach sucht man jedoch vergeblich – dabei gilt Schach doch als das ultimative Strategiespiel, zumindest im Westen.
Doch wie hilfreich die Strategeme auch im Schach sein können, beweist der erste Sieg eines Chinesen über einen westlichen Großmeister. Dazu kam es bei der Schacholympiade 1978 in Buenos Aires in der Begegnung zwischen Liu Wenzhe und Jan Hein Donner.
Liu Wenzhe spielte bei der Entwicklung des Schachs in China eine große
Rolle. Er arbeitete lange als Trainer und seine umfassenden Trainingskonzepte
haben dazu beigetragen, die Chinesen in die Weltspitze zu führen.
Bei seinem Sieg gegen den westlichen Großmeister Donner bediente sich Liu Wenzhe – „ich habe mich mein Leben lang für Strategie interessiert“ – bewusst oder unbewusst des Strategems Nummer 10: „Hinter dem Lächeln den Dolch verbergen“. Von Senger nennt es „Strategem der Doppelzüngigkeit“ und „Januskopf-Strategem“: „Man verdeckt üble Absichten durch äußerliche Freundlichkeit, schöne Worte und Liebenswürdigkeiten.“ (Harro von Senger, 36 Strategeme für Manager, Hanser Verlag 2004, S.59). Die Wikipedia erklärt: „Den Feind durch Freundlichkeit in Sicherheit wiegen, um ihn im Moment der Schwäche anzugreifen.“
In der Schachpraxis sieht das folgendermaßen aus:
Siehe auch:
Keine Ethik, keine Moral: „Mit dem Dolch eines anderen töten“
Xie Jun: Mit Begeisterung zum Erfolg
Erst verwirren, dann gewinnen: Strategem Nr. 20
Den Tiger vom Berg in die Ebene locken: Strategem Nr. 15
Eine Feuersbrunst für einen Raub ausnutzen: Strategem Nr. 5
- „Follow the Money“: Ian Hamiltons moderne Heldin Ava Lee
- Geburtstagskind Michael Bezold: Ein Porträt