Partie des Monats: April 2016
Der April war aufregend: Weltmeister Magnus Carlsen kehrte endlich vor der eigenen Haustür und gewann in Norwegen nach drei vergeblichen Anläufen eins der besten Turniere des Jahres, die US-Meisterschaften waren so stark besetzt wie nie zuvor, und Garry Kasparov zeigte dem Nachwuchs in St. Louis, wie gut er immer noch blitzt und warum Schottisch gar nicht so schlecht ist. Schöne Partien gab’s auch.
Zwei davon spielte Carlsen beim Norway Chess Turnier in Stavanger und bewies dabei zugleich en passant seine Vielseitigkeit. In Runde drei besiegte den Schweden Nils Grandelius mit einem frühen Springeropfer, das zu ungewöhnlichen, taktisch und positionell anspruchsvollen, Stellungen führte.
Vier Runden später, in Runde sieben, zeigte Carlsen dann gegen Vladimir Kramnik eine positionelle Glanzleistung.
Doch so beeindruckend diese beiden Siege auch waren, spektakulärer ging es jenseits des Atlantiks, in St. Louis, zu. Vor allem beim Blitzturnier, bei dem Garry Kasparov gegen die ersten Drei der US-Meisterschaft antrat.
Ein Blitzturnier mit vier Teilnehmern, sechs Runden jeder gegen jeden, insgesamt 18 Runden. Der vielleicht beste Schachspieler aller Zeiten, der sich 2005 vom Turnierschach zurückgezogen hatte, gegen den frisch gekürten US-Meister Fabiano Caruano, bei Turnierbeginn die Nummer drei der Welt, Hikaru Nakamura, Nummer sechs der Welt und ausgewiesener Blitzspezialist, sowie Wesley So, die Nummer zehn der Welt. Ein 53-jähriger, der seit elf Jahren kein Turnier mehr gespielt hatte, tritt im Blitzen gegen Spieler an, die noch nicht geboren waren, als er Weltmeister wurde. Kasparov ist Kasparov und der vielleicht beste Spieler aller Zeiten, aber hatte er sich da nicht zu viel vorgenommen?
Offensichtlich nicht, denn der Ex-Weltmeister konnte gegen die drei jungen Weltklassespieler mithalten. Manchmal sogar mehr als das. Vor allem am ersten Tag, in den ersten neun Runden, überzeugte er und überspielte seine Gegner ein ums andere Mal.
Wenn man Kasparov so spielen sah, konzentriert, leidenschaftlich, gut, tauchte die Frage, wie die Schachgeschichte verlaufen wäre, hätte er sich 2005 nicht vom Turnierschach zurückgezogen, von ganz alleine auf. Wäre Anand dann 2008 Weltmeister geworden oder hätte Kasparov den Titel noch einmal gewonnen? Hätte Carlsen 2013 den WM-Thron erobert und wie wäre ein Match zwischen Carlsen und Kasparov verlaufen? Und vor allem: Welche Glanzpartien sind der Schachwelt entgegangen, weil Kasparov seine Energie lieber in die Politik und nicht in das Spitzenschach gesteckt hat?
Müßige Fragen, ich weiß, aber sie entspringen dem Bedauern darüber, dass Kasparov nicht zufrieden gewesen zu sein scheint, „nur“ Schachspieler zu sein. Denn egal, wie viel Kraft, Energie und Intelligenz er in andere Gebiete investiert hat, so gut und erfolgreich wie beim Schach war er nirgendwo. Ob Kasparovs Entscheidung, sich als Nummer eins der Welt relativ früh vom Schach zurückzuziehen für ihn gut oder schlecht war, kann nur er beantworten. Aber die Schachwelt hat dadurch mit Sicherheit einen großen Verlust erlitten.
Wie auch immer, in St. Louis spielte Kasparow wieder und er spielte gut. Mit 9,5 Punkten aus 18 Partien lag er am Ende knapp über der 50-Prozent-Marke und wurde Dritter hinter Hikaru Nakamura, der mit 11 aus 18 gewann, und Wesley So, der mit 10 aus 18 Platz zwei belegte. Fabiano Caruana landete mit 5,5 aus 18 abgeschlagen auf dem vierten und letzten Platz.
In der spektakulärsten Partie in St. Louis stand Kasparov allerdings auf der Verliererseite. Er unterlag Wesley So, der eine Glanzpartie im Stile der alten Meister spielte, und Kasparovs König, der zu lange in der Mitte geblieben war, mit einer Reihe von Opfern Matt setzte. Für mich die interessanteste Partie im April 2016 und vielleicht auch eine der besten und schönsten Blitzpartien aller Zeiten.
Siehe auch
Partie des Monats: Januar 2016
- Versöhnlich: Rhidian Brooks „Niemandsland“
- Partie des Monats: Mai 2016