Vor kurzem erschien die neue Ausgabe des KARL, Schwerpunkt Schachkompositionen. Studien, Probleme, erdachte Stellungen, manchmal sogar erdachte Figuren, ein Gebiet mit ganz eigenem Reiz. Inspirierend. So stieß ich bei der Arbeit am neuen Heft in Andrew Soltis’ Buch The 100 Best Chess Games of the 20th Century, Ranked zufällig auf eine Partie von Henrik Kasparyan (Bild), einem der berühmtesten Studienkomponisten der Welt. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte ich diese Partie wahrscheinlich überblättert, aber der KARL-Schwerpunkt hatte mein Interesse geweckt.
Kasparyan war Bauingenieur von Beruf und nicht nur herausragender Studienkomponist, sondern auch im praktischen Schach sehr stark. Er wurde am 27. Februar im georgischen Tiflis geboren, zog 1936 jedoch in die armenische Hauptstadt Jerewan, wo er am 27. Dezember 1995 starb. Zehn Mal wurde Kasparyan armenischer Landesmeister und bis zum Aufstieg Tigran Petrosians in den 50er Jahren war er die unangefochtene Nummer eins des Landes.
Zum 100. Geburtstag Kasparyans veröffentlichte Sondermarke (Foto: Wikipedia)
1936 spielte Kasparyan einen Aufsehen erregenden Wettkampf gegen Vitaly Chekhover, ebenfalls renommierter Studienkomponist und starker Nahschachspieler. Chekhover wurde am 22. Dezember 1908 in St. Petersburg geboren und starb am 11. Februar 1965 in der gleichen Stadt, die damals allerdings Leningrad hieß. Er war von Beruf Pianist, nahm fünf Mal an der Sowjetischen Meisterschaft im Schach teil und wurde 1949 Leningrader Meister.
Kasparjan gewann das Match der beiden Studienexperten mit 9,5:7,5. Ein hübscher Sieg gelang ihm in der folgenden Partie, für Soltis eine der 100 besten des 20. Jahrhunderts (vgl. Andrew Soltis, The 100 Best Chess Games of the 20th Century, Ranked, McFarland 2000, S. 83-85).
Natürlich kann man sich streiten, ob diese Partie wirklich zu den besten Partien des 20. Jahrhunderts gehört. Der Computer nimmt ihr viel von ihrem Glanz. Denn moderne Engines brauchen nicht lange, um den Zug 17…Txe5 mit Gewinnstellung für Schwarz zu entdecken. Außerdem merken die Maschinen schnell, dass Schwarz im Laufe der Partie mehrfach kürzere Wege zum Matt verpasst. Ein schöner Sieg mit ungewöhnlichem Matt bleibt die Partie trotzdem. Wer perfekte Ästhetik will, der sollte sich die Studien Kasparyans anschauen. Oder den neuen KARL.