Enttäuschend: Don Winslows „Vergeltung“

vergeltung_coverDave Collins, Held von Don Winslows neuem Roman Vergeltung ist ein liebevoller Vater und Ehemann. Beruflich hat er früher Menschen umgebracht. Rund um den Globus, als Mitglied der Navy Seals, einer Eliteeinheit der US-Armee, die im wirklichen Leben 2013 mit der Tötung Osama bin Ladens für Schlagzeilen sorgte. Als sich Collins zu alt für das anstrengende Leben als Elitesoldat fühlte, schied er aus der Armee aus, um sein Land fortan mit einem Job bei der Flugsicherheit zu schützen. Aber vor allem kümmerte er sich um seine Frau Diana und seinen Sohn Jake. Als die bei einem Terroranschlag auf ein amerikanisches Flugzeug sterben, will Collins nur noch eins: Vergeltung.

Die Politik hilft Collins nicht. Er kann zwar beweisen, dass Terroristen das Flugzeug, in dem seine Frau und sein Sohn saßen, zum Absturz gebracht haben, doch politische Kräfte wollen das vertuschen, um internationale Friedensprozesse nicht zu gefährden. Also sorgt Collins selber für Gerechtigkeit – oder zumindest für das, was er dafür hält. Er beauftragt eine Gruppe von Elitesöldnern aus aller Welt, um Abdullah Aziz, den Drahtzieher des Flugzeuganschlags, zu finden und zu töten.

Wie sie das machen schildert der Roman mit beinahe rauschhafter Begeisterung für Waffen, technische Geräte, starke Männer, militärische Rituale, euphemistische Abkürzungen, Lust an der Gewalt, viel nationalistischem Pathos und einer undifferenzierten Einteilung der Welt in gut und böse.

Der Glaube, für das Gute zu kämpfen, dient Collins dabei als Rechtfertigung für die von ihm organisierten Tötungsorgien auf der ganzen Welt. Wobei er nicht lange darüber nachgrübelt, wer die Bösen sind und warum sie Böses tun. Denn eigentlich ist diese Frage ganz einfach. Als Amerikaner gehört Collins zu den Guten, während die Bösen die Feinde Amerikas sind. Und Böses tun sie, weil, nun ja, weil sie böse sind – die Feinde Amerikas eben.

Einmal aber kommen Collins doch Zweifel. Als Allessandro, einer seiner Söldner, bei dem Schlussangriff auf Aziz’ Versteck auf eine Mine tritt und zu sterben droht, steht Collins vor einem Dilemma: „Allessandro kann nur gerettet werden wenn sie die Mission jetzt abbrechen und zum Flugzeug gehen. Ein klarer Deal: Vergeltung oder Allessandros Leben.“ (S.436) In diesem Dilemma erinnert sich Collins an seine Frau und seinen Sohn: „Hätte Diana gewollt, dass du das tust? Einen verwundeten Kameraden sterbend zurücklassen? Was hättest du Jake erzählt, wenn er dich gefragt hätte? Was? Was ist aus dir geworden? Was hat Aziz aus dir gemacht? Er würde es tun – er würde einen Mann liegen lassen und die Mission zu Ende bringen. Aber irgendwo, denkt Dave, muss es einen Unterschied zwischen uns geben, sonst gewinnen die Bösen.“ (S.436-437)

Collins entschließt sich schließlich dafür, die Aktion abzubrechen. Woraufhin sich Allessandro selbst erschießt und Aziz doch noch bestraft werden kann. Das klingt  pathetisch und ist es auch, aber wenig später, als Winslow beschreibt, wie die Söldner nach vollbrachter Exekution des Schurken den Rückzug antreten und dabei die Leichen ihrer Gefallenen retten, setzt Winslow noch einen drauf:

„Sechzehn Kilometer weit tragen die erschöpften Männer ihre gefallenen Kameraden.
Sechzehn Kilometer durch den peitschenden, strömenden Monsun – tapfere Männer, selbst verwundet, tragen sie die Freunde, die sie nicht zurücklassen wollen.
Sie wissen, dass deren Gewicht sie langsamer macht.
Wissen, dass die Feinde sie einholen.
Wissen, dass sie es vielleicht nicht mehr schaffen werden.
Und tun es trotzdem.
Keine Wissenschaft kann das erklären. Keine Biochemie, keine Evolutionsanalyse, keine neue Hirnforschung.
Einzig und allein Menschlichkeit.
Erbitterte Loyalität.
Außergewöhnlicher Mut.
Eine größere Liebe gibt es nicht.“ (S.477-478)

So viel Glauben an das Gute in Amerika, an das Gute im Elite-Söldner und an die Gerechtigkeit überzeugt am Ende auch die politischen Bedenkenträger, die sich in der Stunde der Not doch noch als Patrioten erweisen und Collins und seine Männer aus verzweifelter Situation befreien. Amerika gut, Ende gut, alles gut.

So gerät Vergeltung zu einem undifferenzierten, pathetischen und nationalistischen Lobgesang auf die moralische Überlegenheit Amerikas. Man wundert sich, dass Don Winslow Autor dieses Buches ist. Winslow, der in Romanen wie Frankie Machine, Pacific Private und Pacific Paradise wunderbar lässige und ambivalente Helden geschaffen hat. Der in Manhattan seine Liebe zum Jazz und zu New York zelebriert und die Skrupellosigkeit der amerikanischen Politik beschreibt. Der in Tage der Toten die verheerende Vergeblichkeit des amerikanischen Kampfes gegen die Drogen schildert und mehr als einmal bewiesen hat, wie vielschichtig seine Figuren und seine Themen sein können.

In Vergeltung spürt man von all dem nichts. Die technische und stilistische Brillanz hat Winslow nicht verloren, aber die holzschnittartigen Charaktere, das hohle Pathos, der Verzicht auf jedwede Gedankentiefe und nicht zuletzt die Verherrlichung von Gewalt, Söldnertum und Selbstjustiz machen dieses Buch schwer erträglich.

Nun könnte man meinen, Vergeltung sei ein mit technischer Virtuosität verfasstes Psychogramm eines ehemaligen amerikanischen Elitesoldaten, der jede von den USA begangene Scheußlichkeit mit der moralischen Überlegenheit Amerikas rechtfertigt, und Winslow lade seine Leser und Leserinnen ein, sich ihre eigene Meinung über diesen Geisteszustand zu bilden. Damit bleibt zwar das Bild Don Winslows als Autor intakt, aber leider fehlt dem Buch die nötige Distanz zum Erzählten, um dieser These Glaubwürdigkeit zu verleihen.

So bleibt Vergeltung ein ärgerliches und enttäuschendes Buch eines brillanten Autors.

cover_vergeltung

Don Winslow
Vergeltung
491 Seiten, Suhrkamp
D: 14,99€, A: 15,50€, CH: 21,90 sFr
Übersetzung: Conny Lösch

Und das verrät der Klappentext über Autor Don Winslow und Übersetzerin Conny Lösch:

Don Winslow wurde 1953 in New York geboren. Bevor er mit dem Schreiben begann, verdiente er sein Geld unter anderem als Kinobetreiber, Fremdenführer auf afrikanischen Safaris und chinesischen Teerouten, Unternehmensberater und immer wieder als Privatdetektiv.

Er wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Krimi Preis [International] 2011 für Tage der Toten. Sein Roman Savages – Zeit des Zorns wurde von Oliver Stone verfilmt. Don Winslow lebt mit seiner Frau in Kalifornien.

Conny Lösch lebt als Literaturkritikerin und Übersetzerin in Berlin. Sie hat u. a. Bücher von Ken Bruen, Elmore Leonard und Warren Ellis ins Deutsche übertragen.

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