Paul Keres gegen die Weltmeister: José Raul Capablanca
Paul Keres war 22 Jahre alt, als er eines der bedeutendsten Turniere aller Zeiten gewann: das AVRO-Turnier 1938. Offizieller Beginn des Turniers war der 4. November, gespielt wurde vom 6. bis 27. November in zehn verschiedenen holländischen Städten. Acht der stärksten Spieler der Welt traten dabei doppelrundig gegeneinander an und machten das AVRO-Turnier so zum damals zum stärksten Turnier aller Zeiten. Ein Ziel des Wettbewerbs bestand darin, einen Herausforderer für den amtierenden Weltmeister Alexander Aljechin zu finden, der selbst an dem Turnier teilnahm. Ein offizielles Kandidatenturnier war das AVRO-Turnier jedoch nicht.
Pech für Keres. Denn am Ende des Turniers lag er nach 14 Runden mit 8,5 Punkten zusammen mit dem Amerikaner Reuben Fine auf dem geteilten ersten Platz. Doch Keres hatte die bessere Sonneborn-Berger-Wertung und so erklärte man ihn zum Turniersieger. Den direkten Vergleich zwischen Keres und Fine hatte Keres mit 1,5:0,5 ebenfalls für sich entschieden.
Wie Keres in seinem Buch Ausgewählte Partien: 1931-1958 schrieb, „erwarb“ er durch diesen Sieg „das Recht, den Weltmeister Aljechin zu einem Titelkampf herauszufordern“. Doch zu einem WM-Kampf zwischen Aljechin und Keres kam es nie. Damals lag die Organisation der Weltmeisterschaftskämpfe noch nicht in der Hand der FIDE und Aljechin behielt sich das Recht vor, mit möglichen Herausforderern selber zu verhandeln. Das nutzte Michail Botwinnik, der im Turnier Dritter geworden war, um dem Weltmeister einen Kampf gegen ihn schmackhaft zu machen.
„Am Schlusstag des Turniers teilte ich dem Weltmeister mit, dass ich ihn um eine vertrauliche Unterredung bitte. Aljechin erfasste gleich, worum es sich handelt, und setzte für die Besprechung den nächsten Tag fest. Tags darauf erörterten wir bei einer Tasse Tee die Bedingungen. Das Honorar des Weltmeisters sollte 6700 Dollar betragen. … Wir verabschiedeten uns voneinander und – haben uns nie mehr gesehen.“ (Michael Botwinnik, zitiert in Rainer Knaak, Burkhard Starke, Ein langes Schachjahrhundert, Beyer Verlag 2002, S.176).
Doch der ein Jahr später beginnende Zweite Weltkrieg durchkreuzte alle Pläne für einen Kampf um die Weltmeisterschaft. Aljechin starb 1946 als amtierender Weltmeister, Botwinnik gewann den Titel im WM-Turnier 1948 und Keres bekam nie wieder die Gelegenheit, einen WM-Kampf zu spielen.
Das AVRO-Turnier gilt auch als Generationenwechsel. Mit Keres und Fine landeten die beiden jüngsten Teilnehmer auf den ersten beiden Plätzen. Weltmeister Aljechin schaffte mit 7 aus 14 hingegen nur knapp die 50 Prozentmarke und belegte zusammen mit Max Euwe und Samuel Reshevsky die Plätze vier bis sechs, immerhin mit einem Punkt Vorsprung vor seinem alten Rivalen Capablanca.
José Raul Capablanca (Foto: Wikipedia)
Allerdings begünstigte der Turniermodus die jüngeren Spieler. Denn da in zehn unterschiedlichen holländischen Städten gespielt wurde, mussten die acht Teilnehmer im Verlauf des Turniers immer wieder in andere Städte reisen und diese Strapazen verkrafteten die jüngeren Teilnehmer besser.
Besonders Capablanca, der im Verlauf des Turniers, am 19. November 1938, seinen 50. Geburtstag feierte – und ausgerechnet an diesem Tag gegen Aljechin verlor – schien unter dem kräftezehrenden Modus zu leiden, denn er erlitt während des Turniers einen milden Schlaganfall.
Das AVRO-Turnier ist auch das einzige Turnier, in dem Keres gegen Capablanca gewinnen konnte.
Die fünf restlichen Partien, die Keres und Capablanca zwischen 1937, beim Turnier auf dem Semmering, und 1939, bei der Schacholympiade in Buenos Aires, spielten, endeten alle Remis.
Siehe auch:
- Schachrekorde: Paul Keres gegen die Weltmeister (Alexander Aljechin)
- Wikipedia-Eintrag über das AVRO-Turnier
- Mikhail Botwinnik: Der eigensinnige Patriarch
- Hart umkämpft: Der Wettkampf Euwe gegen Keres
Links zur Person und zum Schach von Paul Keres
Einen ausführlichen Essay über Paul Keres veröffentlichte André Schulz am 5. Juni 2003 anlässlich des Todestages von Keres bei ChessBase.
Auch KARL hat sich in einem Schwerpunkt mit Figur und Schach von Paul Keres beschäftigt. In Heft 2/2004, für mich immer noch eins der schönsten der vielen schönen KARL-Hefte.
Dort erschien auch der Artikel In Estland ein Nationalheld, in dem ich der Frage nachgehe, warum Paul Keres in Estland so beliebt ist – zu seiner Beerdigung kamen Hunderttausende, sein Bild zierte den estnischen 5-Kronen-Schein und er wurde unter anderem zum estnischen Sportsmann des 20. Jahrhunderts gewählt.
Fakten, Daten und Grundsätzliches gibt es bei Wikipedia.
- „Stilübungen“ von Raymond Queneau
- Filmzitate: „Fack ju Göhte“