Virtuos: J. K. Rowlings „The Cuckoo’s Calling“

J. K. Rowling (Foto: Daniel Ogren, Wikipedia-Beitrag über J. K. Rowling)

J. K. Rowling (Foto: Daniel Ogren, Wikipedia-Beitrag über J. K. Rowling)

Paparazzi, Polizei, Presse, Gaffer und Schaulustige – mit diesem Ensemble beginnt J. K. Rowlings The Cuckoo’s Calling. Vor einer eleganten Wohnung in der Londoner Mayfair Street stehen sie stundenlang in Schneetreiben und Kälte, fotografieren mit Handys oder Kameras und warten. Darauf, dass etwas Aufregendes passiert oder sie die Leiche des Supermodels Lula Landry sehen, die kurz zuvor vom Balkon ihrer Wohnung in den Tod gestürzt war. Dieser Tod sorgt für Schlagzeilen, Spekulationen sowie endlose sensationslüsterne Artikel in der Regenbogenpresse, bis die Polizei den Fall als Selbstmord zu den Akten legt und die Presse sich anderen Themen zuwendet. Dann betritt Rowlings neuer Held die Bühne: Privatdektiv Cormoran Strike.

Strike ist „nicht hübsch“, hat „dichtes, gelocktes Haar, widerborstig wie Teppich“ sowie die „hohe, vorstehende Stirn, breite Nase und dichten Augenbrauen eines jungen Beethoven, der unter die Boxer gegangen ist“ (S.16-17, meine Übersetzung), ist ehemaliger Soldat, hat in Afghanistan ein Bein verloren, steht kurz vor der Pleite und wohnt notgedrungen in seinem schäbigen Büro, weil seine langjährige turbulente Beziehung gerade in die Brüche gegangen ist und er nunmehr ohne Wohnung dasteht.

Außerdem ist Strike der zumindest biologische Sohn eines berühmten englischen Sängers und einer Frau, die unter dem Namen „Supergroupie“ zu kurzfristigem Ruhm gekommen ist.

Ein Privatdetektiv, wie er schon in Tausenden von Kriminalromanen und Filmen vorgekommen ist: raue Schale, weicher Kern, seelisch – und in diesem Fall auch körperlich – beschädigt, ohne Geld, aber gut in dem, was er tut, unbestechlich, kompetent, hartnäckig und mit Gefühl für Anstand und Würde.

Strike wird von John Bristow, dem Bruder Lula Landrys, beauftragt, den Selbstmord des Topmodels noch einmal zu untersuchen, denn Bristow will nicht glauben, dass sich seine Schwester umgebracht hat. Lula ist allerdings nicht Bristows leibliche Schwester, sondern wurde, wie er selbst, als Kind von einer reichen Familie adoptiert.

Strike nimmt den Auftrag widerstrebend an und rollt den Fall noch einmal auf. Unterstützt wird er dabei von seiner Assistentin Robin, in mehr als einer Hinsicht das Gegenteil von Strike. Sie ist frisch verlobt, jung und gerade in London eingetroffen, um mit ihrem Freund zusammenzuziehen. Als Mitarbeiterin einer Zeitarbeitsfirma ist sie zufällig und zeitlich befristet Strikes Assistentin geworden – hat aber immer davon geträumt, als Privatdetektivin zu arbeiten. Diese Konstellation eines Ermittlerduos ganz unterschiedlicher Persönlichkeiten, die sich zusammenraufen, ist nun auch beileibe nicht neu, aber Rowling gelingt es, diesem bekannten Motiv neue charmante Seiten abzugewinnen.

Auch in anderer Hinsicht folgt Rowling den klassischen Mustern des Kriminalromans. Strike ermittelt, befragt Verdächtige oder solche, die dazu werden könnten, macht Deals mit der Polizei, verfolgt alte und neue Spuren, lässt sich weder korrumpieren noch einschüchtern und trägt geduldig ein Puzzleteil nach dem anderen zusammen, um die Wahrheit über den Tod des Supermodels herauszufinden.

Stilistische und formale Experimente, wie sie z.B. Dominique Manotti wagt, sucht man bei Rowling allerdings vergebens. Dafür behandelt sie die klassische Form des Detektivromans mit brillanter Eleganz. Souverän und stilsicher nutzt sie das Genre des Kriminalromans zur Darstellung der Welt der Topmodels und der englischen Oberschicht sowie zu einem kritischen Porträt des zeitgenössischen Englands, in dem die Menschen nach Ruhm und Prominenz lechzen, in der Paparazzi auf der Jagd nach Fotos und Skandalgeschichten über Leichen gehen und Handys prominenter Persönlichkeiten von der Presse routinemäßig abgehört werden.

Das funktioniert, weil Rowling so gut schreiben kann. Sie braucht nur wenige Worte, um ihre Figuren lebhaft und glaubhaft zu zeichnen und das Geschehen ironisch, bissig oder mitfühlend zu kommentieren. Auch Dialoge und Sprache der jeweiligen Personen sorgen für Spannung und glaubwürdige Charaktere.

Nicht zuletzt ist Rowling eine begnadete Erzählerin. Sie verzichtet bei ihrer Geschichte fast völlig auf sensationelle Zwischenfälle wie Anschläge auf den Detektiv, Mordversuche, Verfolgungsjagden, Schlägereien, Schießereien und dergleichen mehr. Doch trotz des ruhigen Fortgangs der Ermittlung verfolgt man mit zunehmender Spannung, wie Strike und Robin der Wahrheit um den Tod Lula Landrys immer näher kommen. Wie es sich für einen klassischen Krimi gehört, gipfelt all das in einem dramatischen Finale mit einer Auflösung, die zwar ebenfalls den Regeln des klassischen Kriminalromans gehorcht, aber vielleicht doch überraschen kann.

So ist J. K. Rowling mit The Cuckoo’s Calling ein spannender, unterhaltsamer und gekonnt erzählter Krimi gelungen. Sie erfindet das Genre zwar nicht neu, aber nutzt dessen Möglichkeiten und Konventionen mit Einfallsreichtum und brillanter Virtuosität. Und zeichnet nebenbei ein schönes Porträt der Stadt London.

The Cuckoos Calling
Cover von The Cuckoo’s Calling

The Cuckoo’s Calling erschien im April 2013 im Verlag Sphere unter dem Pseudonym Robert Galbraith. Dadurch angeregt, habe ich mir auf diesem Blog in einer kurzen Glosse Gedanken gemacht, welche Rolle der Name von Autor oder Autorin spielt, wenn man Romane beurteilt.

Verraten hat Rowlings Pseudonym ein Mitarbeiter der Londoner Anwaltskanzlei Russell. Er hatte einer Freundin seiner Frau verraten, wer hinter dem Pseudonym Robert Galbraith steckt. Diese Freundin gab diese Information per Twitter an die Sunday Times weiter und am 14. Juli wusste es die Öffentlichkeit.

Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, musste die Anwaltskanzlei für die Indiskretion ihres Mitarbeiters „eine ‚große Summe’ an das Hilfsprojekt ‚The Soldiers’ Charity’ zahlen.“ „Außerdem“, so die Süddeutsche, „gab Rowling bekannt, dass die weltweit eingenommenen Tantiemen für den Krimi für drei Jahre an die Hilfsorganisation gehen sollen, mit Start 14. Juli 2013.“

Die deutsche Ausgabe des Buches erscheint bei Blanvalet. Und zwar, wie Focus-Online meldet, „möglichst bald“.

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