Humorvoll, unterhaltsam, erfolgreich: Colin Cotterill

Foto: Urban Zintel

Foto: Urban Zintel

Vor ein paar Tagen habe ich hier eine Rezension über Colin Cotterills Buch Der fröhliche Frauenhasser veröffentlicht. Dieses und andere Bücher über Dr. Siri, den 73-jährigen Arzt, Leichenbeschauer und Schamanen aus Laos, haben mir so gut gefallen, dass ich mehr über den Autor erfahren wollte. Die Spurensuche im Internet führte zum folgenden Porträt, in dem man unter anderem erfährt, wie erfrischend optimistisch Cotterill das Schreiben von Bestsellern begonnen hat, obwohl er eigentlich berühmter Comiczeichner werden wollte, warum Dr. Siri aus Laos stammt, über 70 ist und wie Cotterill seinen Erfolg nutzt, um Kinder in Laos beim Lesen zu helfen und Opfer von Landminen zu unterstützen.

Colin Cotterill: Ein Porträt

Heute ist Colin Cotterill ein produktiver und viel gelesener Autor, aber seine literarische Karriere begann spät und wenig erfolgreich. Seinen ersten Roman schrieb Cotterill Mitte der 90er, mit über 40. Wie Cotterill in einem Interview mit Andrea Tholl erzählt, arbeitete er damals in Thailand „in einem Kinderschutzprojekt in Phuket. Ich wollte … dieses sperrige Thema zu einem Roman verarbeiten, um Menschen über die furchtbare Lage der Kinder aufzuklären. Also beschloss ich, einfach einen Bestseller zu schreiben. Wie schwer sollte das schon sein? Ich fuhr zum Flughafen und kaufte mir dort die fünf meist verkauften Bücher, zum Beispiel eins von Patricia Highsmith. … In den Büchern fand ich so etwas wie eine bestimmte Formel: kurze Szenen, Cliffhanger. Und ich schrieb einen Bestseller, aber niemand kaufte ihn. Zwei weitere folgten. Insgesamt verkaufte ich etwa elf Bücher im Jahr, aber immerhin war ich damals schon so etwas wie ein professioneller Schreiber.“ (Andrea Tholl, „Organentnahme mit Ehrfurcht“, Interview mit Krimi-Autor Colin Cotterill, Stern-Online, 12. August 2008)

Ob dies tatsächlich so gewesen ist oder zu den Legenden gehört, die Schriftsteller gerne über sich und ihre Arbeit erzählen, weiß nur Cotterill. Fest steht allerdings, dass er erst nach einigen Umwegen zum Schreiben gekommen ist. Geboren wurde Cotterill am 2. Oktober 1952 in London. 1976, nach Abschluss seines Pädagogikstudiums, packte ihn die Wanderlust. Er verließ England und machte sich auf Weltreise: „Ich wollte unbedingt so weit weg wie möglich. Mein Ziel war damals Australien. Auf dem Weg dahin machte ich einen Zwischenstop für fünf Monate in Israel, danach dann kurz in Thailand – und habe mich in Südostasien verliebt.“ (Lars Schafft, „Wo in Afrika liegt Laos?“, Interview mit Colin Cotterill, krimi-couch.de)

Später arbeitet Cotterill als Englischlehrer für die UNESCO in Laos und konzipiert und dreht den Sprachkurs English by Accident für das laotische Fernsehen. „Vier Jahre war ich in Laos, zwei in Vientiane und zwei im Süden.“ (Lars Schafft, „Wo in Afrika liegt Laos?“)

Colin Cotterill
Colin Cotterill (Foto: Urban Zintel)

Diese vier Jahre und Begegnungen mit politischen Flüchtlingen aus Laos, die er in Australien getroffen und interviewt hatte, inspirieren Cotterill zu seinen Romanen um die Figur des Leichenbeschauers Dr. Siri. Sie machen ihn berühmt.

„Es gab ja schon einige Autoren, die über Thailand geschrieben haben. Alles, was ich aber über Laos und die Laoten gelesen hatte, versetzte die Einwohner in die Rolle der Opfer, feindlicher Soldaten oder allgemein in die von Menschen im Hintergrund. Der Fokus lag da immer auf westlichen Charakteren, auf dem amerikanischen Soldaten mit Maschinengewehr, wie er durch die Landschaft streift. Ich hatte also noch keine Literatur gelesen, die die Laoten wirklich als laotische Menschen darstellte, als solche mit Persönlichkeit, Charakter und Humor. Ich wollte also über Laos schreiben, weil es so noch keiner gemacht hatte.“ (Lars Schafft, „Wo in Afrika liegt Laos?“)

Tatsächlich war Laos ein weitgehend weißer Fleck auf der literarischen Landkarte, aber auch eine Figur wie Dr. Siri hatte es in der Kriminalliteratur noch nicht gegeben: Ein 73jähriger Arzt, der in Frankreich studiert hat, um anschließend 25 Jahre für die Kommunisten im Dschungel von Vietnam zu kämpfen und nach der Machtergreifung der Kommunisten zum einzigen Leichenbeschauer Laos’ „zwangsrekrutiert“ zu werden. Und der Schamane ist, Geister sieht, Visionen hat, mit den Toten spricht.

cover dr siri sieht gespenster

Die Entscheidung, einen 73-jährigen zum Helden seiner Romane zu machen, traf Cotterill bewusst: „Man findet nie etwas über die positiven Seiten alter Menschen. Mein Vater … ist vierundachtzig, … [und] klettert auf dem Dach herum und repariert … die Antenne. Meine Mutter ist zweiundachtzig und [geht] am Wochenende mit ihren Freundinnen tanzen. Warum also sehen wir nie solche Charaktere, lebendige pulsierende Menschen, die das Leben noch genießen? Dr. Siri musste auch so alt sein, um uns Zugang zu der Vergangenheit zu geben. Er musste in Frankreich studiert haben, und er musste zugleich fit und stark genug sein, um all diese Abenteuer zu überleben, die ich ihm zumute.“ (Henrike Heiland, Interview mit Colin Cotterill, London, Juli 2008)

Zugleich entschied sich Cotterill, humorvolle Bücher zu schreiben. „Die meisten Bücher, die in kommunistischen Regimes in Osteuropa oder Südamerika angesiedelt sind, haben einen dunklen Ton, und man wird wirklich depressiv, wenn man sie liest. Das Düstere ist zwar die Realität, aber ich denke, Humor hilft den Lesern, ihnen dieses Umfeld schmackhaft zu machen und lässt sie mit den Charakteren eher mitfühlen. Die Charaktere sind sehr positiv im Umgang mit ihrem Leben und auch im Umgang miteinander. Ich denke, ihre Beziehungen zueinander sind auch so stark wegen ihrer Fähigkeit, so zu tun, als sei alles gar nicht so schlimm.“ (Henrike Heiland, Interview mit Colin Cotterill)

Der erste Band der Reihe mit Dr. Siri erschien 2004 unter dem Titel The Coroner’s Lunch und war bei Publikum und Kritik sofort ein Erfolg. Es folgten acht weitere Bücher, in denen der Schamane und Leichenbeschauer wieder Willen im Mittelpunkt steht. Sie wurden in etliche Sprachen übersetzt (auf Deutsch liegen sechs Bände vor) und verhalfen Cotterill zu einer Reihe von Preisen und literarischen Auszeichnungen.

cover dr siri und seine toten

Doch nach neun Auftritten gönnte Cotterill Dr. Siri eine Pause und fahndete stattdessen mit der Polizeireporterin Jimm Juree und ihrer exzentrischen Familie in Thailand nach Verbrechern. 2011 erschien der erste Band dieser neuen Reihe unter dem Titel Killed at the Whim of a Hat (Der Tote trägt Hut, Manhattan, 2013) und nur ein Jahr später, 2012, durfte Jim Juree in Granddad, There’s a Head on the Beach (noch nicht auf Deutsch erschienen) wieder Verbrechen aufklären und das Geschehen in ihrem Fischerdorf und in Thailand ironisch kommentieren.

Den Erfolg seiner Bücher nutzt Cotterill zur Unterstützung etlicher wohltätiger Projekte. So rief er die Kampagne Books for Laos ins Leben, nachdem er festgestellt hatte, dass es in Laos fast keine Kinder- und Jugendbücher gibt. Ziel dieses Projekts ist es, Kinder und Jugendliche in Laos den Zugang zu Büchern zu erleichtern. In eine ähnliche Richtung geht das Projekt A Book for Every Child, das möglichst viele Bücher ins Laotische übersetzen will, um Erwachsenen und Kindern in Laos Zugang zu Büchern zu verschaffen.

Außerdem unterstützt Cotterill COPE, ein 1997 ins Leben gerufenes Programm, das Minenopfern hilft und sich für das Verbot von Streubomben einsetzt.

Nach seinen ausgedehnten lebt Cotterill jetzt als freiberuflicher Schriftsteller mit seiner zweiten Frau und vielen Hunden in einem kleinen Fischerdorf am Golf von Siam. Neben der Arbeit an seinen Romanen und seiner Webseite, zeichnet er Cartoons für zahlreiche thailändische Zeitungen und Magazine. Und wie er selber sagt, wäre er „eigentlich lieber ein bekannter Comic-Zeichner geworden“. (Andrea Tholl, „Organentnahme mit Ehrfurcht“).

Vermutlich ist das Fischerdorf in Thailand nicht die letzte Station auf der Reise von Colin Cotterill: „Ich gehöre einfach zu den Menschen, die nicht an einem Ort bleiben können. Es gibt einfach zu viel zu sehen. Man kann nur dann innerlich wachsen, wenn man das ganze Komfortable wegpackt und sich in Situationen begibt, in denen man ganz neu beginnen muss.“ (Andrea Tholl, „Organentnahme mit Ehrfurcht“)

Was das für Dr. Siri und die anderen Helden Cotterills bedeutet, wird man sehen. Wahrscheinlich eine Reihe humorvoller, spannender und origineller Bücher.

Bisher erschienene englische und deutsche Titel in der Reihe um Dr. Siri:

The Coroner’s Lunch, 2004.
Dr. Siri und seine Toten. Deutsch von Thomas Mohr. Manhattan, München 2008.

Thirty-Three Teeth, 2005.
Dr. Siri sieht Gespenster. Deutsch von Thomas Mohr. Manhattan, München 2009.

Disco for the Departed, 2006.
Totentanz für Dr. Siri. Deutsch von Thomas Mohr. Manhattan, München 2010.

Anarchy and Old Dogs, 2007.
Briefe an einen Blinden – Dr. Siri ermittelt. Deutsch von Thomas Mohr. Manhattan, München 2011.

Curse of the Pogo Stick, 2008.
Der Tote im Eisfach – Dr. Siri ermittelt. Deutsch von Thomas Mohr. Manhattan, München 2012.

The Merry Misogynist, 2009.
Der fröhliche Frauenhasser – Dr. Siri ermittelt. Deutsch von Thomas Mohr. Manhattan, München 2013.

Love Songs from a Shallow Grave, 2010.
Noch nicht ins Deutsche übersetzt.

Slash and Burn, 2011.
Noch nicht ins Deutsche übersetzt.

The Woman Who Wouldn’t Die, 2013.
Noch nicht ins Deutsche übersetzt.

Bisher erschienene englische und deutsche Titel in der Reihe um Jimm Juree:

Killed at the Whim of a Hat, London 2011.
Der Tote trägt Hut. Deutsch von Jörn Ingwersen. Goldmann. München 2013.

Grandad, There’s a Head on the Beach, London 2012.
Noch nicht ins Deutsche übersetzt.

Weitere Werke

Ageing Disgracefully, London 2009.
Noch nicht ins Deutsche übersetzt.

Pool and Its Role in Asian Communism, Bangkok 2005.
Noch nicht ins Deutsche übersetzt.

The Night Bastard, Bangkok 2000.
Noch nicht ins Deutsche übersetzt.

Ethel and Joan Go to Phuket, Bangkok 2004.
Noch nicht ins Deutsche übersetzt.

Evil in the Land Without, Bangkok 2003.
Noch nicht ins Deutsche übersetzt.

Preise und Auszeichnungen

2005 The Coroner’s Lunch (Dr. Siri und seine Toten) wird für den Barry Award für “Das beste Debüt” nominiert.
2006 Thirty Three Teeth (Dr. Siri sieht Gespenster) gewinnt den Dilys Award.
2007 Le Dejeuner du Coroner (Dr. Siri und seine Toten) erhält den Prix SNCF Du Polar.
2008 The Coroner’s Lunch (Dr. Siri und seine Toten) kommt auf die Shortlist des “CWA (Crime Writer’s Association) Dagger”
2009 Anarchy and Old Dogs (Briefe an einen Blinden – Dr. Siri ermittelt) kommt beim Crimefest “Last Laugh Award”auf die Shortlist.
2009 Die Dr. Siri-Serie gewinnt den CWA (Crime Writer’s Association) “Dagger in The Library”
2010 Love Songs from a Shallow Grave (noch nicht ins Deutsche übersetzt) kommt ins Finale des Dilys Award.

Quellen und weiterführende Links

Webseite von Colin Cotterill

Wikipedia-Eintrag (Deutsch)

Wikipedia-Eintrag (Englisch)

Henrike Heiland, Interview mit Colin Cotterill, London, Juli 2008.

Henrike Heiland, „Colin Cotterill: Von der Leichtigkeit des Bestsellers“, Focus-Online, 6. August 2008.

Lars Schafft, „Wo in Afrika liegt Laos?“, Interview mit Colin Cotterill, krimi-couch.de.

Andrea Tholl, „Organentnahme mit Ehrfurcht“, Interview mit Krimi-Autor Colin Cotterill, Stern-Online, 12. August 2008.

Lutz Vogelsang, „Ich würde gerne mal Geister treffen“, Interview mit Colin Cotterill, krimi-couch.de.

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