Düster und brillant: Dominique Manottis “Zügellos”
Dominique Manotti ist ein Phänomen. Ihren ersten Roman veröffentlichte die promovierte Historikerin, die eigentlich Marie-Noëlle Thibault heißt und am 24. Dezember 1942 geboren wurde, mit 53 Jahren, 1995. Ein überaus erfolgreiches Debüt. „Sombre Sentier“ – so der Originaltitel – wurde 1995 zum französischen Krimi des Jahres gewählt und machte Manotti auf einen Schlag berühmt. 2004 erschien die deutsche Übersetzung unter dem Titel Hartes Pflaster und seitdem hat Manotti auch in Deutschland viele Fans, die ihre virtuosen, harten und anspruchsvollen politischen Krimis lieben. Mittlerweile sind sieben ihrer insgesamt acht Romane ins Deutsche übersetzt, der letzte erschien vor wenigen Wochen unter dem Titel Zügellos. Er hat alles, was Manotti-Fans schätzen.
Worum geht es?
Um Versicherungsbetrug, Waffenhandel, Pferderennen und Pferdehandel, Erpressung aller Art, Insidergeschäfte mit Aktien, den Fall der Berliner Mauer und die sich dadurch bietenden geschäftlichen Möglichkeiten, die Studentenrevolte von 1968, Vergewaltigung, verschiedene Formen von Verrat, alte Freundschaften und alte Traumata, Mord an Menschen und an Pferden, Immobilienspekulation, Drogenhandel, Drogensucht, Alkoholismus, Prostitution und natürlich Korruption in Politik und Polizei.
Die Handlung spielt von Freitag, 9. Juni 1989, bis Freitag, 10. November 1989, einen Tag nach dem Fall der Berliner Mauer. Hauptfigur des Buches ist Théodore Daquin, Kommissar bei der Pariser Drogenfahndung, „groß, gut eins fünfundachtzig, breitschultrig, massig, wenn nicht gar etwas grobschlächtig, kantiges Gesicht, ebenmäßig, aber nicht ausnehmend schön, braune Augen, ungemein wacher Blick auf alles um ihn herum, starke körperliche Präsenz.“ Bisexuell, unbestechlich, Rugbyspieler, Kaffeeliebhaber, intelligent, rücksichtslos, bisweilen brutal und ein einfühlsamer und guter Zuhörer.
Daquin tauchte schon in Manottis erstem Roman Hartes Pflaster auf und tatsächlich ist Zügellos Manottis zweiter Roman. Er erschien in Frankreich 1997 unter dem Titel À nos chevaux! – die deutsche Übersetzung mithin 16 Jahre später als das Original. Aber besser spät als nie.
Wie spannend und unterhaltsam ist Zügellos?
Kommt drauf an, was man will. Manottis Romane zeichnen ein düsteres, beunruhigendes Bild der Gesellschaft und des Menschen. Es sind keine Kuschelkrimis, in denen sich ein Ermittlerduo mit kleinen menschlichen Macken zusammenrauft und fröhlich Morde aufklärt, wonach das leichte Unbehagen über eine Welt, die kurzzeitig aus den Fugen geraten ist, sofort wieder aufhört. In Manottis Romanen verfolgen die Reichen und die Mächtigen ihre Interessen skrupellos, rücksichtslos und mit kalter, unbarmherziger Intelligenz. Es ist eine Welt, in der das Recht des Stärkeren gilt, in der Gesetze ignoriert und manipuliert werden, in der die Mächtigen Menschen erpressen, ausbeuten und unterdrücken, um ihre Macht zu erhalten und möglichst viel Geld zu verdienen. Eine Welt, in der die Menschen gewissenlos, kaltherzig und brutal sind, in der Liebe nur angedeutet wird, wohingegen Sex fast immer käuflich ist und ein willkommenes Mittel der Manipulation und Erpressung darstellt – auch für die eigentlichen „Helden“ der Romane.
So zwang Daquin in Hartes Pflaster einen seiner Informanten zu sexuellen Gefälligkeiten und einer von Daquins Mitarbeitern, Romero, konnte ungestraft eine Verdächtige vergewaltigen. Auch in Zügellos zeigt Manotti Daquins dunklen Seiten. Er verprügelt Gefangene, manipuliert Mitarbeiter, Vorgesetzte und Verdächtige und schreckt nicht davor zurück, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen. Zugleich fasziniert dieser Kommissar, denn er ist furchtlos, loyal, unbestechlich und er sehnt sich in der düsteren Welt, in der er sich bewegt, nach Intimität, Liebe und Nähe zu anderen Menschen.
Auch was die Form der Erzählung angeht, mutet Manotti ihren Lesern und Leserinnen Einiges zu. Abrupte Szenen- und Perspektivwechsel, bis zum Äußersten verknappte Schilderungen von Charakteren und Situationen, ein kompliziertes Geflecht von Personen und Verbrechen, knappe Sätze, die oft nur wiedergeben, was die Hauptperson der jeweiligen Szene denkt, sieht oder beobachtet, eine überaus zurückhaltende Autorin, die eigentlich nie kommentiert und wertet, sondern die Scheußlichkeiten, die sie schildert, nüchtern und sachlich beschreibt – all das macht das Lesen nicht leicht.
Dominique Manotti 2006 (Foto: Wikipedia-Eintrag über Dominique Manotti)
Aber es ist gerade dieser Stil, der Zügellos und Manottis Romane generell auszeichnet und spannend, temporeich und fesselnd macht. Manotti schafft es, in nur wenigen Sätzen Atmosphäre zu schaffen, faszinierende, lebhafte Charaktere zu entwerfen und Dialoge zu schreiben, die vor Spannung knistern. Szene auf Szene folgt man dem Geschehen atemlos, fasziniert von der Frage, wer welche Verbrechen begangen hat, wer mit wem welche Pläne und Allianzen schmiedet und wie weit die Helden gehen werden, um der Gerechtigkeit zu einem kleinen, zumindest zeitweiligen, Sieg zu verhelfen.
Alles in allem…
…ein anspruchsvoller, technisch und stilistisch virtuoser Krimi. Verstörend, brillant und lesenswert.
Dominique Manotti, Zügellos
Ariadne Krimi 1193, Argument Verlag 2013
Originaltitel À nos chevaux!, Frankreich 1997
Aus dem Französischen von Andrea Stephani
Gebunden, 286 Seiten, 18 Euro.
Weiterführende Links
Im folgendem Interview spricht Dominique Manotti über ihre Entwicklung zur Autorin, ihre Einstellung zum Schreiben, den literarischen Einfluss von James Ellroy, ihre politische Karriere und über einige ihrer Bücher.
Starkes Debüt: Dominique Manottis Hartes Pflaster
Dominique Manotti bei Wikipedia
- Xie Jun: Mit Begeisterung zum Erfolg
- KARL, Schulschach und Ein Wort zum Schluss