Zur Erinnerung an Gustave Flaubert (12. Dezember 1821 bis 8. Mai 1880)
Kaum ein Autor hat die Literaturgeschichte so beeinflusst wie Gustave Flaubert. Sein berühmtestes Werk ist Madame Bovary, der erste Roman, den er je veröffentlicht hat. Das Buch erschien 1856 und hat seitdem zahllose Leser und Leserinnen verzaubert, begeistert und inspiriert. Zu ihnen zählt der peruanisch-spanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa. In Flaubert und ‚Madame Bovary’: Die ewige Orgie, einer leidenschaftlichen Liebeserklärung an Emma Bovary und die Kunst Flauberts, schreibt Vargas Llosa:
„Eine Handvoll literarischer Gestalten hat mein Leben nachhaltiger geprägt als manches Wesen aus Fleisch und Blut, das ich gekannt habe. … In diesem heterogenen, kosmopolitischen Kreis … hat es keine Gestalt gegeben, mit der ich ein dauerhafteres und eindeutig leidenschaftlicheres Verhältnis gehabt hätte als mit Emma Bovary. …
Im Sommer 1959 kam ich mit wenig Geld und der Aussicht auf ein Stipendium in Paris an. Eines der ersten Dinge, die ich tat, war, in einem Buchladen im Quartier Latin ein Exemplar der Madame Bovary in der Ausgabe der Classiques Garnier zu erstehen. Noch am selben Nachmittag begann ich mit der Lektüre in einem kleinen Zimmer im Hotel Wetter, in der Nähe des Musée de Cluny. … Von den ersten Zeilen an schlug mich die Überzeugungskraft des Buches wie ein machtvoller Zauber in ihren Bann. Seit Jahren hatte kein Roman meine Aufmerksamkeit so schnell aufgesogen, so sehr die reale Umgebung verschwinden und mich so tief in seinen Stoff versinken lassen. Der Nachmittag schritt voran, die Nacht brach herein, das Morgengrauen kündigte sich an – und die magische Umgießung, die Substitution der realen Welt durch die fiktive wurde immer wirksamer.
Der Morgen hatte begonnen … als ich betäubt das Buch schloß, um zu schlafen. … Als ich aufwachte, um die Lektüre wiederaufzunehmen, wurden mir … zwei Dinge blitzartig bewußt: daß ich von nun an wußte, welcher Autor ich gern gewesen wäre, und daß ich bis an mein Lebensende in Emma Bovary verliebt sein würde.…
Seither habe ich den Roman ein halbes dutzendmal von Anfang bis Ende gelesen und dieses oder jenes Kapitel, diese oder jene Episode bei vielen Gelegenheiten wiedergelesen. Ich bin nie enttäuscht worden ….
Mario Vargas Llosa, Flaubert und „Madame Bovary“: Die ewige Orgie, Suhrkamp 1996, (Erstausgabe Rowohlt Taschenbuch 1980), S. 13-15.
In dieser nicht nur literaturwissenschaftlich interessanten Liebeserklärung analysiert Vargas Llosa Flauberts Buch „subjektiv“, „wissenschaftlich“ und literaturgeschichtlich. Der Titel dieser Analyse geht auf ein Zitat des französischen Autors zurück, das dem Buch vorangestellt ist: „Die einzige Art, das Dasein zu ertragen, besteht darin, sich an der Literatur wie in einer ewigen Orgie zu berauschen.“ (Brief Flauberts an Mademoiselle Leroyer de Chantepie vom 4. September 1858)
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