Glanzpartie eines Unbekannten: Moises Kupferstich vs Harry Andreassen

62 schöne, interessante und lehrreiche Partien präsentiert US-Autor Irving Chernev in seinem 1965 veröffentlichten Klassiker The Most Instructive Games of Chess Ever Played. Fast alle von Chernev ausgewählten Beispiele stammen von bekannten Spielern wie Tarrasch, Rubinstein, Lasker, Nimzowitsch, Capablanca, Botvinnik, Smyslov, Tal, Petrosian oder Fischer. Aus der Reihe fällt jedoch Partie Nummer 19, Moises Kupferstich gegen Harry Andreassen, gespielt bei einem Vereinsturnier in Kopenhagen 1953. Beide, Kupferstich und Andreassen, sind weitgehend unbekannt und haben in der Schachgeschichte nur wenig Spuren hinterlassen. Doch ihre einzig wirklich berühmte Partie ist immer noch sehenswert – trotz einiger kleiner Schönheitsfehler.

Die Partie

Eine hübsche Partie mit einem bemerkenswerten Schluss. Und wenn man sich an Chernevs Schachbegeisterung und bombastischem Überschwang stört, kann man natürlich fragen, ob diese Partie 1965, als The Most Instructive Games of Chess Ever Played erschien, wirklich zu den 62 lehrreichsten Partien aller Zeiten gehörte. Aber diese Frage ist müßig und man kann Chernev einfach dankbar sein, dass er diese kleine Glanzpartie zweier unbekannter Spieler in sein Buch aufgenommen und so vor dem Vergessen gerettet hat. Außerdem kann man aus dieser Partie tatsächlich eine Menge lernen. Zum Beispiel:

  • Material ist wichtig, aber aktives Figurenspiel ist oft wichtiger.
  • Türme auf der siebten Reihe können wirklich stark sein.
  • Mattangriffe mit reduziertem Material haben Charme.
  • Taktische Möglichkeiten gibt es in (fast) jeder Stellung. Auch und gerade im Endspiel.
  • Manche Stellungen sind so gut, dass es mehrere Wege zum Gewinn gibt.
  • Nicht nur Welt- und Großmeister spielen hübsche Partien.

Moises Kupferstich

Aber wer war oder ist Moises Kupferstich, der Sieger dieser Partie? Das Internet verrät – zumindest nach einer kurzen Suche – nur wenig über ihn. Doch er gehörte nach dem Zweiten Weltkrieg wohl zu den stärksten Spielern Dänemarks, denn bei der Schacholympiade in Dubrovnik 1950, der ersten Schacholympiade nach dem Krieg, spielte er in der dänischen Nationalmannschaft und holte am 4. Brett 5,5 Punkte aus 12 Partien.

Die ChessBase Megadatabase enthält 39 Partien von Kupferstich, die chronologisch erste dieser Partien wurde bei der Dänischen Meisterschaft 1947 gespielt, die chronologisch letzte war ein Remis gegen Johannes Eising beim Länderkampf Dänemark – DDR aus dem Jahre 1955.

Die prominentesten Gegner von Kupferstich waren Ex-Weltmeister Max Euwe und Bent Larsen. Gegen Euwe spielte Kupferstich Anfang 1949 in Kopenhagen eine kurze Partie, die nach 15 Zügen mit Remis endete. Gegen Larsen spielte Kupferstich laut Datenbank drei Mal: bei den Stadtmeisterschaften von Kopenhagen 1953 und bei den Dänischen Meisterschaften 1953 und 1955. Die erste dieser drei Partien endete mit Remis, die zwei danach gewann Larsen.

Laut Mega Datenbank nahm Kupferstich an den Dänischen Meisterschaften von 1951, 1952, 1953 und 1955 teil. 1951 landete er mit 3 Punkten aus 8 Partien auf dem 9. und letzten Platz, bei den anderen Meisterschaften sind die Partien unvollständig überliefert und die Tabellen deshalb ohne Aussagekraft.

Kurz erwähnt wird ein dänischer Spieler namens Kupferstich auch in Aron Nimzowitsch: On the Road to Chess Mastery, 1886-1924, der sorgfältig recherchierten Nimzowitsch-Biographie von Per Skoldjager und Jørn Erik Nielsen. Der in dieser Biographie erwähnte Kupferstich (leider erwähnen Skoldjager und Nielsen seinen Vornamen nicht) war einer der 64 Gegner, gegen die Nimzowitsch im März 1924 bei einem Simultan in der Politiken Hall in Kopenhagen angetreten ist, und er war auch einer der drei Spieler, gegen die Nimzowitsch bei diesem Simultan verloren hat. (Vgl. On the Road to Chess Mastery, S. 398). Die Vermutung liegt nahe, dass Moises Kupferstich als junger Spieler gegen Nimzowitsch im Simultan angetreten ist, aber ob der Kupferstich, der 1924 im Simultan gegen Nimzowitsch gewinnen konnte, wirklich identisch mit dem Kupferstich ist, der fast dreißig Jahre später mit seinem Turm auf der siebten Reihe gegen Harry Andreassen für Verwüstungen sorgte, verrät die kurze Notiz über das Simultan leider nicht.

Alles in allem ist das nicht viel biographisches Material, und deshalb würde ich mich freuen, wenn jemand, der diese Zeilen liest und mehr über Kupferstich weiß, dieses Wissen teilt – entweder in einer Email an mich oder in den Kommentaren.

Siehe auch

Schachbegeisterung: Irving Chernevs “The Most Instructive Games of Chess”

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Einige Gedanken zu “Glanzpartie eines Unbekannten: Moises Kupferstich vs Harry Andreassen

  1. Ingram Braun

    Ich finde Partien bis 1933 zurück in meiner Datenbank, Quelle ist aber eine Datenbank aus dem WWW, die wohl selbst wieder aus Internetquellen zusammenkopiert wurde.

    Die Danbase hat ihn bis 1939 zurück: http://danbase.skak.dk/turneringer.php?soeg=Kupferstich Darunter auch eine Kopenhagenmeisterschaft 1942, wo er punktgleich mit dem Sieger war. Das finde ich angesichts des jüdisch klingenden Namens bemerkenswert, denn Dänemark war ja seit dem 9. April 1940 deutsch besetzt.

    Das Dansk Skakbladet steht Volltext größtenteils bis 1904 zurück zur Verfügung: http://www.skak.dk (Menü Dansk Skak Union/Skakbladet – Arkiv) Leider sind die älteren Jahrgänge reine Bildscans ohne Volltextsuche. Es druckt 1942–45 Partien von ihm ab. Ebenso fehlen die Jahrgänge nach 1952 bis 1993 Jahre noch (außer 1962), wo am ehesten ein Nachruf zu erwarten wäre.

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