Bekannte Melodien: William Shaws „Abbey Road Murder Song“

Abbey_Road_Murder_Song_CoverDer berühmteste Zebrastreifen der Welt befindet sich in London auf der Abbey Road. Berühmt gemacht haben ihn die Beatles auf dem Cover ihres gleichnamigen Albums – Abbey Road. Mittlerweile steht der Zebrastreifen unter Denkmalschutz und 24 Stunden am Tag überträgt eine Webcam Bilder des Zebrastreifens auf eine Beatles-Fanseite im Internet. Auf der Abbey Road hatte EMI, die Plattenfirma der Beatles, ihr Aufnahmestudio und Abbey Road war das vorletzte Album der Band, bevor sie sich 1969 auflöste. Die Platte gilt als musikalisch wegweisend und landete 2005 auf einer Liste des Musikmagazins Rolling Stone mit den 500 besten Alben aller Zeiten auf Platz 14. William Shaws Krimi Abbey Road Murder Song ist auf konventionelle Weise unterhaltsam.

Die Erzählung spielt in London 1968 und beginnt damit, dass ein kleiner Junge in der Abbey Road die nackte Leiche eines jungen Mädchens entdeckt. Die Aufgabe herauszufinden, wer das Mädchen war und wer sie umgebracht hat, fällt Detective Cathal Breen zu, ein sympathischer Polizist, aber alles andere als ein strahlender Held, wie Shaw beinah überpointiert zeigt. Gleich zu Beginn des Buches fällt Breen bei dem Versuch, eine Katze zu retten, vom Baum, übergibt sich beim Anblick der Leiche des jungen Mädchens und hat Ärger auf seinem Polizeirevier, weil er geflohen ist, als ein Kollege von ihm bei einer Messerstecherei bedroht wurde.

Als Assistentin bekommt Breen die junge Helen Tozer zugeteilt, eine kleine Sensation, denn auf Breens Polizeirevier „gab es zwar eine Fraueneinheit, aber die Kolleginnen bekamen ausschließlich Aufgaben in der Verwaltung oder im sozialen Bereich zugewiesen“. Tozer ist jünger als Breen, redet viel, bringt Schwung in den Krimi, ist Beatles-Fan, fährt halsbrecherisch Auto und hat ein dunkles Geheimnis, das sie dazu gebracht hat trotz des Spotts und der sexistischen Beleidigungen ihrer männlichen Kollegen, zur Polizei zu gehen: ein paar Jahre zuvor wurde Tozers ältere Schwester ermordet und der Täter nie gefasst.

Nach anfänglichen Schwierigkeiten arbeiten Tozer und Breen immer besser zusammen und der zurückhaltende Breen fühlt sich von seiner Kollegin zunehmend stärker angezogen. Bei der Suche nach dem Mörder treffen die beiden auf rassistische Durchschnittsbürger, korrupte Polizisten, einsame Witwer, einen Afrikaner, der in England aufgewachsen ist, perfektes Oxford-Englisch spricht und als Arzt in London arbeitet, hochnäsige Damen der englischen Oberschicht und natürlich zahlreiche Beatles-Fans. Dabei zeigt Shaw wie fremdenfeindlich, frauenfeindlich, sexuell verklemmt und autoritätshörig die damalige englische Gesellschaft war und wie die Musik der Beatles ein neues Lebensgefühl ausgedrückt und die Gesellschaft verändert hat.

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Abbey Road Cover (Foto: Wikipedia)

Zentrale Bedeutung für die Erzählung hat auch die damalige politische Situation, vor allem der Bürgerkrieg im afrikanischen Biafra. 1967 hatte sich die Volksgruppe der Ibo von Nigeria losgelöst und den unabhängigen Staat Biafra ausgerufen, was zu einem Bürgerkrieg führte. Großbritannien hatte sich als ehemalige Kolonialmacht 1960 aus Nigeria zurückgezogen, doch wie Shaw in einem Nachtrag schreibt, „unterstützte [Großbritannien] das föderale Nigeria in der Hoffnung, sich Zugang den Bodenschätzen des Nigerdeltas, vor allem Öl, zu sichern. … Offiziell verschloss Großbritannien die Augen gegenüber der Blockade Biafras durch den nigerianischen Bundesstaat und verpasste damit die Gelegenheit, Friedensgespräche zu vermitteln. Bei Kriegsende 1970 waren drei Millionen Menschen gestorben, vorwiegend an Krankheiten und Hunger. Knapp eine Million davon waren Kinder.“

Ein weiteres wichtiges Motiv, das sich durch den Roman zieht, ist das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. So hat Breen seinen Vater bis zu dessen Tod gepflegt, aber verstehen und würdigen kann er ihn erst danach. Helen Tozer hat ein herzliches und gutes Verhältnis zu ihren Eltern, Mutter und der Vater des ermordeten Mädchens hatten den Kontakt zu ihrer Tochter hingegen schon lange abgebrochen und mussten von der Polizei mühsam gesucht und über die Ermordung ihrer Tochter informiert werden.

Die junge Helen Tozer verkörpert die Aufbruchstimmung der damaligen Zeit und ihre Leidenschaft für die Beatles trägt wesentlich dazu, die Ermittlungen voranzutreiben. So nimmt die Erzählung nach einem ruhigen Auftakt deutlich an Fahrt auf, als Tozer die Szene betritt. Bald darauf haben Tozer und Breen eine heiße Spur. Wie heiß diese Spur ist, zeigt sich nur wenig später, als es noch weitere Tote gibt und der Fall in einer dramatischen Verfolgungsjagd und einem actionreichen Finale mündet.

All das erzählt Shaw routiniert, spannend, schwungvoll und gekonnt. Das macht Abbey Road Murder Song trotz nicht unbedingt origineller Motive zu einem unterhaltsamen Krimi, der ein interessantes Porträt der englischen Gesellschaft Ende der 60er Jahre zeichnet. Im Klappentext wird Abbey Road Murder Song als „Auftakt einer Reihe um die Ermittler Breen und Tozer“ angekündigt – und darauf kann man sich freuen.

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William Shaw: Abbey Road Murder Song
Suhrkamp, 472 Seiten, 14,99 Euro

Über Autor und Übersetzerin verrät der Klappentext Folgendes:

William Shaw begann seine Karriere als Redakteur des Punk-Magazins ZigZag. Heute schreibt er für Zeitungen wie The Observer und The New York Times über Themen zwischen Pop- und Subkultur. Für das Magazin Details begleitete er New-Age-Traveller auf der Reise, schleuste sich in die rechte US-Musikszene ein und lebte einen Monat lang als Steinzeitmensch in der Wüste von Utah. Er veröffentlichte eine Sammlung kurioser Kleinanzeigen und ein Buch über junge Musiker in Los Angeles. Abbey Road Murder Song ist sein erster Roman …. Er lebt und arbeitet in Brighton.

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William Shaw (Foto: Ellen Shaw)

Conny Lösch lebt als Übersetzerin in Berlin. Sie hat u.a. Bücher von Don Winslow, Ian Rankin und Simon Reynolds ins Deutsche übertragen.

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