Ein Porträt Südafrikas: „Balthasars Vermächtnis“ von Charlotte Otter

cover balthasars vermaechtnis225Maggie Cloetes erster Auftritt ist dramatisch: Morgens um sieben, auf dem Weg zur Arbeit, sieht die Kriminalreporterin aus dem südafrikanischen Pietermaritzburg wie zwei Diebe mitten im Gedränge eine Marktfrau mit dem Messer bedrohen und berauben. Maggie nimmt die Verfolgung auf, jagt die Diebe auf ihrem Motorrad, robbt über Dächer, wird angestochen, doch kann einen der beiden Diebe schließlich überwältigen. Aber warten, bis die Polizei eintrifft und den Täter abführt, kann sie nicht. Sie muss bereits zum nächsten Fall – vor der Aidshilfe-Mission wurde ein junger Weißer niedergestochen. Als Maggie am Tatort eintrifft, erkennt sie, dass sie in den Fall verstrickt ist.

Denn der Tote ist Balthasar Meiring, ein Aids-Aktivist, der sie wenige Tage zuvor angerufen hatte, um sie zu bitten, über eine Sammelklage von Aids-Opfern gegen einen Medikamentenfälscher zu berichten. Sie hatte abgelehnt. Für die Polizei ist der Fall schnell abgehakt: „Da ist wohl ein Raubüberfall aus dem Ruder gelaufen“, doch Maggie Cloete hat „das nagende Gefühl, dass sie Balthasar Meiring nicht so hätte abwimmeln dürfen“. Also ermittelt sie auf eigene Faust, obwohl die Polizei den Fall zu den Akten gelegt hat und entgegen den ausdrücklichen Anweisungen ihres Redakteurs.

Im weiteren Verlauf des Romans trifft Maggie Verbrecher, die mit falschen AIDS-Medikamenten ein Vermögen verdienen, AIDS-Waisen, starrköpfige Buren, verängstigte Frauen und Kinder, sowie korrupte und weniger korrupte Politiker. Sie verliebt sich, riskiert ihre Karriere, wird bedroht, verfolgt und schwebt bis zum abschließenden Showdown mit dem Bösen mehr als einmal in Lebensgefahr.

Diese klassische Form der Kriminalerzählung gibt der Autorin Charlotte Otter die Gelegenheit, ein Porträt der modernen südafrikanischen Gesellschaft zu zeichnen. Eine Gesellschaft mit großem sozialem Gefälle, die immer noch unter den traumatischen Folgen der jahrzehntelangen Apartheid-Politik leidet, in der Verbrechen Alltag sind und in der jeden Tag zahlreiche Menschen AIDS zum Opfer fallen.

Dieses Thema liegt Otter besonders am Herzen und bildet ein zentrales Motiv ihres Romans. Wie sie in einer Nachbemerkung zum Roman erklärt, hat sich die südafrikanische Regierung eine Zeitlang geweigert, „den Einsatz lebenserhaltender Medikamente freizugeben, [und] schickte damit Hunderttausende von Menschen … in den frühen Tod und machte ihre Kinder zu Waisen. Die Anzahl der AIDS-Waisen in Südafrika beläuft sich aktuell auf fast zwei Millionen.“

Dass es Otter gelingt, ihre sozialen Botschaften in einen zwar konventionellen, aber doch überzeugenden Kriminalroman zu packen, liegt daran, dass sie gut schreibt, spannend erzählt und eine Hauptfigur geschaffen hat, mit der man mitfühlt, weil sie für das Gute kämpft. Außerdem weiß Charlotte Otter, wovon sie spricht, denn sie lebt zwar seit langer Zeit in Deutschland, aber stammt aus Südafrika und hat wie ihre Heldin Maggie Cloete früher als Kriminalreporterin gearbeitet.

Viele Fragen, die Otter mit ihrem Porträt Südafrikas berührt, gehen dabei weit über Südafrika hinaus: Können Menschen unterschiedlicher Kulturen und Hauptfarbe friedlich zusammenleben? Ist ein gewaltfreies Miteinander in einer Gesellschaft, die jahrzehntelang Gewalt und Unterdrückung erlebt hat, überhaupt möglich? Sind die Ideen eines friedlichen politischen Engagements, wie sie Gandhi lebte, der eine Zeitlang als Anwalt in Südafrika praktiziert hat, und die menschenfreundliche Botschaft der Versöhnung, die Nelson Mandela verkörperte, überhaupt möglich oder sind dies zum Scheitern verurteilte naive Illusionen?

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Nelson Mandela, 2008 (Foto: Wikipedia)

Vielleicht erstaunlich, aber auch und gerade konventionelle Kriminalromane, denen als Genre immer der Ruch des Trivialen anhaftet, können solchen Fragen nachgehen und helfen, eigene und fremde Gesellschaften und Kulturen besser zu verstehen.

In ihrem Vorwort schreibt Else Laudan, die Herausgeberin der Ariadne-Kriminalromane, die Balthasars Vermächtnis zusammen mit B. Szelinski außerordentlich lesbar ins Deutsche übersetzt hat: „Als Leserin wie als Verlegerin baue ich leidenschaftlich auf die Welthaltigkeit dieses Genres, das sich so gut eignet, um soziale Wirklichkeit zu sichten“, um dann den kanadischen Krimiautor Christopher G. Moore zu zitieren: „Eine Mordermittlung in einer unruhigen Gesellschaft bringt die Spannungen in den Fokus, die dem Fall eine politische Dimension verleihen. Um Verhaltensweisen, Reaktionen und Gefühle zu verstehen, braucht es eine kulturelle Landkarte. Die besten Kriminalromane funktionieren wie ein GPS, das uns durch gewundene Schleichwege, lokale Gassen und kaum erschlossene Hügellandschaften führt.“

So funktioniert auch Charlotte Otters Balthasars Vermächtnis: Als spannende Erzählung, als Plädoyer für einen anderen Umgang mit AIDS und als Porträt der südafrikanischen Gesellschaft auf dem Wege vom Apartheid-Staat zur Demokratie.

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Charlotte Otter
Balthasars Vermächtnis
Deutsch von B. Szelinski und Else Laudan
Ariadne Kriminalroman, 13 €

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Charlotte Otter (Foto: Ariadne)

Über die Autorin:

Charlotte Otter bloggt (auf Englisch) unter http://charlotteotter.wordpress.com/, wo sie in der Rubrik „About Me“ eines ihrer Motive verrät, Balthasars Vermächtnis zu schreiben: „Having earned my living as a writer since leaving university, it still took a big leap of faith to start writing a novel. However, I had a burning urge and I was tired of reading crime fiction that centred on the mutilated bodies of beautiful young women. Surely a crime novel could be intriguing and thrilling without any women having to be naked and dead?”

Der Klappentext von Balthasars Vermächtnis macht folgende Angaben über Charlotte Otter:

“Die Südafrikanerin Charlotte Otter schreibt in englischer Sprache, lebt aber seit vielen Jahren in Deutschland. Sie hat als Kriminalreporterin, als Zeitungsredakteurin sowie als freie Journalistin und Autorin gearbeitet, gegenwärtig jobbt sie in der IT-Branche. Charlotte Otter lebt mit ihrem Mann, ihren drei Kindern und Tonnen von Büchern in Heidelberg. Balthasars Vermächtnis ist ihr erster Roman.”

 

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