Partie des Monats: August 2015

aronian_teaserDas Internet ist wunderbar, aber sorgt bei Informationen für ein Luxusproblem. Der entsprechende Ausdruck für dieses Phänomen lautet „Information Overload“. Wer es dramatisch und englisch liebt, kann auch „infobesity“ oder „infoxication“ sagen. „Obesity“ bedeutet „Fettleibigkeit“ oder „Fettsucht“, „Intoxication“ steht für „Vergiftung“. Zu viele Informationen können irritieren, verwirren und zu Entscheidungsschwäche führen. Vor lauter Bäumen ist einfach kein Wald erkennbar. Von dieser gesellschaftlichen Entwicklung bleibt auch das Schach nicht verschont.

Als ich anfing, mich ernsthaft für Schach zu interessieren, belieferte der Schach-Informator die Schachgemeinde jedes halbes Jahr mit neuen Partien, die Deutsche Schachzeitung erschien monatlich und das Schach Magazin 64 damals noch alle zwei Wochen. Später veröffentlichte die Schachwoche jede Woche aktuelle Partien, heute gibt es im Internet täglich kostenlos Berichte, Fotos und Partien von Turnieren in aller Welt. Die großen Turniere kann man sogar live und mit Großmeisterkommentaren verfolgen. Das ist wunderbar. Noch nie gab es so viel und so viel gutes Schach zu sehen wie heute, aber der „Information Overload“ hinterlässt auch hier Spuren.

Denn die vielen Partien verführen dazu, sie schnell anzuschauen, kurz zu staunen – und sie dann zu vergessen. Deshalb habe ich mir gedacht, ich überlege mir am Anfang eines Monats einmal, welche Partien mir im vergangenen Monat besonders gut gefallen haben und welche mich am meisten beeindruckt hat.

Im August gab es eine ganze Reihe interessanter Turniere, zum Beispiel den Politiken Cup, das Russische Superfinale der Männer und Frauen oder auch das Open in Lüneburg, an dem viele starke und viele starke deutsche Spieler teilgenommen haben. Das beste und stärkste Turnier im August endete erst im September: der Sinquefield Cup in St. Louis. Zehn der besten Spieler der Welt gingen dort an den Start und sorgten für einige phantastische Partien.

So zeigte Hikaru Nakamura in Runde sechs mit Schwarz gegen Wesley So, warum Königsindisch so beliebt ist. Vielleicht ist diese Eröffnung tatsächlich positionell zweifelhaft, wie zum Beispiel Viktor Kortschnoi immer wieder gern behauptet hat, aber dafür bekommt Schwarz oft gute Angriffschancen. Gegen Wesley So zelebrierte Königsindisch-Experte Hikaru Nakamura in St. Louis einen typischen Angriff – in ungewöhnlich brillanter Ausführung.

Ein brillanter Sieg der amerikanischen Nummer eins, doch mit drei Siegen, zwei Niederlagen und vier Remis landete Nakamura in St. Louis am Ende mit 5 aus 9 nur auf dem geteilten zweiten bis fünften Platz. Der Turniersieg ging an Levon Aronian, der beim Sinquefield Cup nach einer langen Zeit der Dürre endlich wieder gut und erfolgreich spielte.

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Der Sieger des Sinquefield Cups 2015: Levon Aronian (Foto: Lennart Ootes)

Im Januar 2014 hatte Aronian das Jahr noch als Nummer zwei der Welt begonnen und mit einem souveränen Sieg in Wijk aan Zee Hoffnungen für das Kandidatenturnier im März 2014 geweckt. Doch nach Wijk lief bei Aronian nicht mehr viel zusammen. Er spielte ein schlechtes Turnier nach dem anderen und Anfang August 2015 war seine Elo-Zahl auf 2765 gefallen und er gehörte nicht mehr zu den Top Ten.

Der Sinquefield Cup 2015 könnte ein Comeback einleiten: Aronian holte 6 Punkte aus 9 Partien (3 Siege, 6 Remis) und gewann das Turnier mit einem Punkt Vorsprung und einer Elo-Performance von 2918.

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Seine beste und unterhaltsamste Partie gelang Aronian in Runde vier. Er spielte mit Schwarz gegen Wesley So und gewann nach einer Neuerung in der Eröffnung mit einem positionellen Figurenopfer und einem schwungvoll geführten Angriff.

Ein mit leichter Hand souverän vorgetragener Angriff – für mich die Partie des August 2015, unter anderem, weil sie zeigt, dass Aronian wieder in Form ist.

Siehe auch:

Souverän: Hikaru Nakamura im ersten Halbjahr 2015

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