Romananfang 19 – Ying Chang Compestine “Revolution ist keine Dinnerparty”

Mao Zedong wurde am 26. Dezember 1893 in Shaoshan geboren und starb am 9. September 1976 in Peking. 1949 übernahm er als Führer der Kommunistischen Partei die Macht in China und gab sie bis zu seinem Tode nicht mehr ab. Der amerikanische Historiker Rudolph Joseph Rummel schätzt, dass in der Zeit von Maos Herrschaft 38 Millionen Menschen durch Hunger, politische Verfolgung, Terror, Folter und Unterdrückung gestorben sind. In Friedenszeiten.

38 Millionen Tote – eine grauenhafte Zahl. Umso mehr, wenn man bedenkt, dass sich hinter jedem dieser 38 Millionen Einzelschicksale immenses Leid verbirgt. Und es klingt paradox, aber das Leiden eines einzelnen Menschen lässt sich besser begreifen als die überwältigende, aber abstrakte Zahl von Millionen von Toten.

Und so erzählt der autobiographisch gefärbte Roman Revolution ist keine Dinnerparty der jetzt in den USA lebenden chinesischen Autorin Ying Chang Compestine die Geschichte der 9-jährigen Ling Chang und ihrer Familie in der Zeit der Chinesischen Kulturrevolution. Über den „Historischen Hintergrund“ der Kulturrevolution schreibt die Autorin im Anhang:

Mao … rief … im Jahr 1966 die „Große Proletarische Kulturrevolution“ aus. Alle festgefahrenen Machtverhältnisse sollten beseitigt werden: sowohl die Reste der alten Kultur des vorkommunistischen China also „alte Ideen, Kultur, Bräuche und Gewohnheiten“ als auch die der Bürokraten in Staat und Partei. … Mit der Hilfe seiner Frau Jiang Qing gründete er die Roten Garden, die sich aus Schülern der Mittel- und Oberschulen zusammensetzten. Angeführt von Maos Gefolgsleuten in der Volksbefreiungsarmee, verhafteten und ermordeten sie Oppositionelle und insbesondere Intellektuelle, vertrieben Millionen von ihnen aus ihren Positionen, erniedrigten sie und schickten sie in Umerziehungslager. … Jedes Heim und jedes öffentliche Gebäude sowie öffentliche Plätze waren mit Mao-Büsten und Mao-Zitaten auf sogenannten Wandzeitungen geschmückt. Chinas Wirtschaft lag danieder, die Geschäfte waren leer, und Nahrung und Güter wurden rationiert.

Schüler und Studenten wurden ermuntert, gegen ihre Lehrer zu rebellieren und sie, falls sie etwas sagten, das Mao- oder parteikritisch ausgelegt werden konnte, zu denunzieren – das galt sogar für die eigenen Eltern. Die jungen Menschen sollten als ideologische Miliz agieren und so Maos massiven „Säuberungsaktionen“ gegen alle Andersdenkenden zum Sieg verhelfen.

Was dieses politische Programm bedeutete, schildert der Roman in einfacher und klarer Sprache aus Sicht der jungen Ling: Wie Genosse Li, ein Anhänger Maos, zum Nachbarn der Changs wird und immer mehr Macht gewinnt. Wie Nachbarn verschwinden, die Familie schikaniert und tyrannisiert wird, wie die Roten Garden in die Wohnung der Changs eindringen, sie verwüsten und die Familie berauben, wie der Vater nicht mehr als Arzt arbeiten darf und später verhaftet wird, wie auch die Mutter nicht mehr als Ärztin arbeiten darf und wie Ling in der Schule als „bourgeois“ ausgegrenzt, verspottet und tyrannisiert wird.

Dennoch ist der Roman, der sich vor allem an Jugendliche wendet, letztendlich optimistisch, denn angesichts des Unrechts, das ihr und ihrer Familie widerfährt, entdeckt Ling ihre innere Kraft und leistet Widerstand. Energie schöpft sie dabei immer wieder durch den Traum, eines Tages in die USA zu reisen und die Golden Gate Bridge in San Francisco zu sehen.

Für die Autorin wurde dieser Traum Wirklichkeit. Nach Ende der Kulturrevolution 1976 studierte sie Englische und Amerikanische Literatur in China und später ging sie in die USA, um Soziologie an der University of Colorado in Boulder zu studieren. Sie immigrierte in die USA, wo sie jetzt als erfolgreiche Fernsehköchin und Autorin von zahlreichen Kochbüchern und Jugendromanen lebt.

Wie sie selber sagt, hat sie „kurz nachdem meine Eltern verstorben sind, begonnen, an [dem] Buch zu arbeiten. Erst dann habe ich gemerkt, wie sehr ich China vermisse – das Land, das ich innig liebe“.

Das englische Original von Revolution ist keine Dinnerparty erschien 2007 in den USA und gewann zahlreiche Preise. Der Titel des Buches ist eine Anspielung auf einen „Lehrsatz des Vorsitzenden Mao über den Klassenkampf“ den, wie Ling schreibt,

wir in der Lesestunde in der Schule so lange auswendig lernen mussten, bis wir ihn aus dem Gedächtnis niederschreiben konnten:
Eine Revolution ist keine Dinnerparty,
kein Aufsatzschreiben, kein Bildermalen oder
Deckchensticken; sie kann nicht so fein, so gemächlich
und zartfühlend, so maßvoll, gesittet, höflich,
zurückhaltend und großherzig durchgeführt werden.
Die Revolution ist ein Aufstand, ein Gewaltakt,
durch den eine Klasse eine andere Klasse stürzt. (S. 107)


Ying Chang Compestine, Revolution ist keine Dinnerparty, Verlagshaus Jacoby & Stuart. Die Übersetzung aus dem Englischen stammt von Nicola T Stuart.

Zur Orientierung…

Dieser Artikel ist Teil eines Quiz’ mit/über Romananfänge. 24 Romananfänge werden vorgestellt, wer will, kann versuchen, Titel und Autor/Autorin des Romans zu erraten. Die Links führen entweder direkt zum nächsten Romananfang oder zu anderen Romananfängen.

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