Geburtstagskind Michael Bezold: Ein Porträt

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Michael Bezold (Foto: LGA-Turnier Nürnberg)

Der 23. Mai scheint für Schachspieler ein guter Tag zu sein. Kein Geringerer als Anatoli Karpov wurde am 23. Mai 1951 geboren und feiert heute Geburtstag. In guter Gesellschaft des deutschen Großmeisters Michael Bezold, der 1972 im oberfränkischen Bayreuth zur Welt kam. Bezold spielte mit 15 das erste Mal in der Bundesliga, wurde 1991 und 1992 Deutscher Jugendmeister und im Laufe seiner Karriere mehrfach Deutscher Mannschaftsmeister mit Bayern München. Seit seinem Rückzug vom Turnierschach arbeitet er als Software-Entwickler und hat das LGA-Open in Nürnberg als Turnierorganisator zu einem der attraktivsten – und stets überbuchten – Turniere des Schachkalenders gemacht. 2006 habe ich im KARL (1/2006, S. 50-57) ein ausführliches Porträt Bezolds veröffentlicht, in dem er über seine Schachkarriere, Mikhail Botvinnik, Bobby Fischer und vieles mehr spricht. Zur Feier des Tages geht dieses Porträt jetzt online.

“ALS HOBBY MACHT SCHACH MEHR SPASS”

Schach gelernt habe ich früh, mit etwa sechs Jahren, vor allem durchs Zuschauen. Schach lag bei uns in der Familie, denn mein Vater war Vorsitzender des Schachklubs Waischenfeld und Vorsitzender des Fußballvereins. Alle seine Söhne, d.h. meine drei Brüder und ich, haben deshalb Schach und Fußball gespielt, da hat mein Vater für gesorgt. Ich war der drittälteste, ein Bruder war noch jünger – und dann gab es noch eine Schwester, die aber acht Jahre jünger als mein jüngerer Bruder war.

Mein erstes Schachturnier habe ich im Alter von acht Jahren gespielt, die oberfränkische U-15 Meisterschaft, C-Jugend hieß es damals. Ich habe drei Remis geholt und vier verloren. Ich war der jüngste Teilnehmer, und weiß noch, wie damals in der Zeitung ein Foto von mir erschien mit der Unterschrift: “Aller Anfang ist schwer.”

Der Schachklub Waischenfeld ist nicht sehr bekannt, aber immerhin waren bei diesem kleinen Verein schon drei Weltmeister zu Gast: Mikhail Botvinnik, Tigran Petrosian und Bobby Fischer. Lothar Schmid, ein Freund meines Vaters, hatte jeweils den Kontakt hergestellt. Überhaupt hat mir Lothar Schmid immer sehr geholfen und mich gefördert.

AUFSTIEG ALS MANNSCHAFTSSPIELER
Waischenfeld spielte damals in der A-Klasse, damals übrigens noch zusammen mit Bindlach, und als ich immer besser wurde, meinten Bekannte, ich sei mittlerweile zu stark für diese Klasse und es wäre Zeit für einen Vereinswechsel. So bin ich von Waischenfeld zu Bamberg gegangen.

Bei der Oberfränkischen Blitzmeisterschaft hatte ich sehr gut gespielt und dadurch ist der Vorsitzende des Bamberger SC auf mich aufmerksam geworden. Sowieso habe ich immer sehr gerne Blitz gespielt, eigentlich lieber als das langsame Schach. Das langsame Schach spielte man halt, weil es alle machen, aber den größten Spaß hatte ich beim Blitzen.

In Bamberg hatte ich viel Spaß und es war eine schöne Zeit, was auch daran lag, dass die Bamberger mit Unzicker, Pfleger und Kestler eine sehr nette Mannschaft bildeten. Ich sollte eigentlich in der Regionalliga spielen, aber am Ende der Saison kam ich doch zu zwei Einsätzen in der 1. Bundesliga – als 15-jähriger. Bei meinem ersten Bundesligakampf spielten wir gleich gegen Solingen, damals neben Porz die absolute Übermannschaft. Dennoch gelang mir ein Remis gegen Rene Borngässer.

Hier die Schlussphase einer Partie aus der Bundesliga, die sehr spannend war. Mein Gegner war Helmut Reefschläger, der mir bei unserer vorherigen Begegnung eine kurze Lektion erteilt hatte.

BEZOLD – REEFSCHLÄGER
Bundesliga 91/92

Stellung nach 41...e5

Stellung nach 41…e5

Die Partie war bis zu diesem Zeitpunkt nicht besonders aufregend, aber die Schlussphase gleicht das aus. In dieser Stellung möchte Schwarz seinen Springer nach e6 bringen, um auf d4 Druck auszuüben. Spielt Weiß d5, kommt trotzdem Se6. Also 42.Ld6 mit der Idee, auf e5 zu nehmen. 42…Sd5 Der kritische Zug. Ich muss zugeben, dass ich diese Antwort übersehen hatte. Nach 42…Txd6 43.c5 Txd4 44.cxb6 Txd2 45.bxc7 geht der Bauer zur Dame und nach 42…exd4 43.Txd4 Kf7 44.Lc5 Txd4 45.Lxb6 Td7 46.Lxa5 hat Schwarz ein verlorenes Endspiel. 43.Lxd5 Txd6 44.dxe5 44.c5? wäre verfrüht. Nach Txd5 45.cxb6 c5 steht Schwarz mehr als gut. 44…Td8 44…fxe5 45.c5 Txd5 46.Txd5 cxd5 47.cxb6 Kf6 48.Tc3 d4 49.Tc6+! und der schwarze König muss auf die 7. Reihe zurück, wonach Weiß den Bauern b7 gewinnt. 45.exf6+ Kf8 46.Le4 Txd2 47.Lxg6 Td8 48.f7 1–0

Später bin ich dann von Bamberg zu Bayern München gegangen. Wieder empfahl ich mich durch ein Blitzturnier. Irgendwann lud man mich zu einem Blitzturnier ein, an dem etliche Spieler der Bayern-Mannschaft teilnahmen, darunter Leute wie Stangl und Bischoff, also sehr starke Blitzer. Dieses Blitzturnier habe ich gewonnen und danach hat mir Heinrich Jellissen einen Platz in der Bayern-Mannschaft angeboten.

SCHACHAUSBILDUNG BEI BAYERN
Jellissen ist natürlich eine umstrittene Figur, aber ich hatte eigentlich immer einen guten Eindruck von ihm. Er war sehr fordernd, erfolgshungrig, und dadurch herrschte in der Mannschaft immer großer Druck. Aber andererseits fand er auch die richtigen Worte, wenn es einmal schiefgegangen war, wenn man “versagt” hatte. Als seine Geschäftspraktiken nach seinem Tod bekannt wurden, war ich entsetzt. Dennoch: Er hat mich nach Bayern geholt und dort wurde der Grundstein für meinen Großmeistertitel gelegt – und dafür bin ich ihm dankbar.

Meine Elo-Zahl stieg damals in kurzer Zeit von 2350 auf 2490. Der Grund für diesen Sprung liegt in der gesamten Atmosphäre, die bei Bayern herrschte, das Analysieren mit guten Leute, die ganze Umgebung. Besonders viel verdanke ich allerdings Zoltan Ribli.
Bei Auswahl und Studium der Eröffnungen hat er mir sehr geholfen und auch in Bezug auf die prinzipielle Einstellung habe ich viel von ihm gelernt.

Ribli ist der ideale Mannschaftsspieler und Kapitän. Er verfügt über ein ungeheuer breites und tiefes Schachwissen und ist ein immens guter Eröffnungsexperte. Er ist hilfsbereit, spricht gut Deutsch und außerdem sehr unterhaltsam. Durch seinen trockenen Humor herrscht eigentlich immer gute Stimmung, wenn er dabei ist. Und er genießt in der Schachwelt einen guten Ruf, auch führende Großmeister haben Respekt vor ihm.

Wenn man einmal mit Ribli gearbeitet hat, dann bleibt er interessiert, auch nachdem er sein Honorar erhalten hat. Später, als ich Bundesnachwuchstrainer war, hatte ich immer noch mit Ribli zu tun. Ich wollte unbedingt, dass Arik Braun mit ihm trainiert, und tatsächlich haben die beiden etliche Trainingssitzungen abgehalten, Ribli hat Eröffnungstipps gegeben, Varianten empfohlen und Ratschläge erteilt, worauf Arik achten sollte. Nach jeder Runde hat er sich dann erkundigt, wie es gelaufen ist. Nach diesem Training hat Arik in dem Turnier auch gleich seine dritte IM-Norm gemacht.

Zoltan Ribli (Foto: Wikipedia)

Zoltan Ribli (Foto: Wikipedia)

JUGENDWELTMEISTERSCHAFTEN
In meiner Zeit in Bamberg feierte ich auch als Jugendlicher Erfolge und wurde zwei Mal hintereinander Deutscher Jugendmeister. In beiden Jahren qualifizierte ich mich dadurch für die Jugendweltmeisterschaft, wobei die erste 1991 in Manaja, in Rumänien, stattfand.

Für mich war das eine völlig neue Erfahrung, denn das war tatsächlich mein erstes internationales Jugendturnier. Es ging über 13 Runden, dazu kamen noch zwei Ruhetage und so war das Turnier sehr lang. Für mich war es gewissermaßen ein “Kennenlernturnier”. Am Ende landete ich auf dem 17. Platz, gewonnen hat damals Akopian.

Ein Jahr später, 1992, fand die Jugend-WM in Buenos Aires statt. Das war ein schönes Turnier und ich bin mit meinem Bruder anderthalb Wochen früher angereist, um mir das Land anzuschauen. In dieser Zeit durfte ich sogar einmal eine Blitzpartie gegen Kasparow spielen, in Mar del Plata, wo aus Anlass der 500-Jahr Feier Argentiniens ein Blitzturnier stattfand. Wir hatten die Ankündigung des Blitzturniers auf einem Plakat gesehen und ich habe mich entschieden, da mitzuspielen. In der ersten Runde bescherte mir das Los Kasparow als Gegner, das ganze Brett war umlagert, ein unglaublicher Presserummel, überall Fotografen. Die Partie selbst verlief normal, ich hatte keine wirklichen Chancen, aber immerhin hat er nach der Partie gesagt “It was a good fight.”

Bei der Jugend-WM war ich dann allerdings immer vorne mit dabei. In der 12. und vorletzten Runde spielte ich gegen Vadim Milov und stand mit einer Qualität mehr sehr gut. Dann gewann ich noch eine Figur, wofür er allerdings etwas Gegenspiel bekam. Ich weiß nicht wieso, vielleicht hatte ich den Erfolg schon so sehr vor Augen, dass ich mich nicht mehr konzentrieren konnte, aber am Ende konterte er mich aus. Danach gewann er noch die letzte Runde und wurde Zweiter, ich gewann ebenfalls in der letzten Runde und kam auf den 9. Platz. Jugendweltmeister wurde der Argentinier Pablo Zarnicki. Insgesamt und trotz der unglücklichen 12. Runde habe ich an Buenos Aires allerdings schöne Erinnerungen.

Große Gedanken, ob ich Schachprofi werden wollte oder was ich nach meinem Abitur überhaupt machen möchte, habe ich mir damals allerdings nicht gemacht. Die beiden letzten Jahre vor dem Abitur, also die 12. und 13. Klasse, besuchte ich ein Jungeninternat in Bamberg. Zufällig genau das Internat, in dem der Film “Das fliegende Klassenzimmer” mit Blacky Fuchsberger gedreht wurde. Es war eine sehr schöne Zeit, wir hatten keine Verpflichtungen, ich habe jeden Tag Fußball gespielt und natürlich Schach, hin und wieder gab es auch ein bisschen Schule.

DER WEG ZUM GROSSMEISTER
Doch nach dem Abitur wusste ich erst einmal nicht richtig weiter und habe mir gesagt, ich spiele jetzt erst einmal ein Jahr Schach. Zur Armee musste ich zum Glück nicht, denn als dritter Bruder wurde ich automatisch nicht eingezogen. Noch heute erzählen mir meine beiden älteren Bruder, wie dankbar ich ihnen dafür sein sollte.

Aber ich wollte unbedingt Großmeister werden, war allerdings damals noch kein IM. Zwar hatte ich nach meiner Zeit bei Bayern mit 2490 meine für lange Zeit höchste Zahl, aber noch keinen Titel. Doch 1993 spielte ich nach der Jugend-WM im Januar, im Februar und im März in Montpellier, Budapest und Verdun drei Turniere in drei Monaten und habe in jedem dieser Turniere eine IM-Norm gemacht und damit hatte ich auch den Titel.

Ohnehin war 1993 ein erfolgreiches Jahr, denn da habe ich gleich auch noch meine 1. GM-Norm gemacht und zwei GM-Turniere gewonnen. Und mit den Bayern wurde ich damals regelmäßig Mannschaftsmeister, wobei mein Beitrag daran leider meist relativ gering war. Ein Highlight bei den Bayern war für mich jedoch immer die Deutsche Mannschaftsblitzmeisterschaft, denn dort sind meist Bischoff, Stangl, Kindermann und ich angetreten und haben regelmäßig gewonnen.

1994 kam für mich dann eine Phase der schachlichen Konsolidierung. In diesem Jahr habe ich meine Elo-Zahl lediglich bestätigt, aber nichts gewonnen. 1994 war auch das Jahr, in dem Heinrich Jellissen starb und Bayern München auseinander brach. Ich bin dann nach Würzburg gegangen und habe für Würzburg in der 2. Liga Ost gespielt. Das war wieder eine gute Truppe, denn fast alle Spieler kamen aus Würzburg oder Umgebung.
In Würzburg habe ich auch Mathematik und Sport studiert, ernsthaft allerdings nur ein paar Semester. Ich erinnere mich noch, dass ich einmal in Kopenhagen ein Turnier gespielt habe, das mir so gut gefallen hat, dass ich gleich noch ein Turnier drangehängt habe. Und so verging wieder ein Semester. Mein Bruder hat zu diesem Thema einmal geschrieben: “Schach war immer sein Lebensmittelpunkt und profanere Dinge wie die Berufswahl mussten dahinter zurückstehen.” Tatsächlich war es für mich das Wichtigste, Großmeister zu werden.

1995 kam dann meine zweite GM-Norm, in New York, wo ich zwei Turniere gespielt habe – und auch das war eine sehr schöne Zeit. Generell reise ich gern und suche gezielt nach Turnieren, die in Ländern stattfinden, in denen ich noch nicht war. Allerdings mag ich bestimmte Länder natürlich besonders gern. Ich bin z.B. ein großer Fan von Amerika, da gefällt es mir sehr gut. Was Städte betrifft, so mag ich Kopenhagen und Budapest.

Da ich gerne unterwegs bin, habe ich einer Saison auch einmal in fünf Ligen parallel gespielt: In Deutschland, Österreich, England, Frankreich und in Island. Das klingt anstrengend, aber wenn man nichts anderes macht außer Schachspielen, dann geht das. Der Kontakt nach Island ergab sich einmal während eines Turniers, das ich dort gespielt habe. In Island wird die Liga allerdings in einem anderen Modus als in Deutschland ausgetragen. Erst spielen die Isländer ihre Ligenkämpfe, alle Mannschaftskämpfe direkt hintereinander, dann kommt ein Schnellschachturnier und zum Abschluss dann ein großes Open.

In Frankreich habe ich für einen Verein aus einem kleinen Vorort von Paris gespielt, auch der Kontakt hatte sich früher einmal während eines Turniers ergeben. Auch in England hat mich ein Bekannter gefragt, ob ich nicht dort spielen will. Der Kontakt zur Österreichischen Liga schließlich kam durch Jörg Hickl zustande. Aber wo ich in Deutschland spiele, das habe ich mir selbst ausgesucht. Außerdem bin ich bei vielen Turnieren gewesen und viel herumgereist.

1997/98 habe ich beim Rilton-Cup in Stockholm meine dritte und letzte Norm gemacht und war damit endlich Großmeister geworden. Die entscheidende Partie spielte ich gegen den Schweden Jonny Hector. Hector ist immer ein dankbarer Gegner, wenn man eine Entscheidung braucht. Er ist bekannt für sein scharfes aggressives Schach und spielt gerne einmal auf Chance.

Jonny Hector

Jonny Hector (Foto: Wikipedia) 


SPIELSTIL
Generell spiele ich lieber, als dass ich analysiere. Auch meine eigenen Partien analysiere ich ganz selten, es sei denn, ich führe sie einmal öffentlich vor. Allerdings habe ich viele Bücher gelesen und ein paar haben mich besonders beeindruckt. Mein System von Nimzowitsch z.B. oder die Bücher von Nunn. Und der rumänische Großmeister Suba hat ein sehr interessantes Buch über Dynamic Chess Strategy geschrieben, das mich beeindruckt hat.

Generell schaue ich mir die Bücher gerne an, die von Spielern geschrieben sind, die mich begeistern. Z.B. lese ich die Bücher von Mihai Marin sehr gerne. Er stammt ebenfalls aus Rumänien, seine Bücher haben gute Kritiken bekommen, ich kenne ihn persönlich, er ist ein angenehmer Typ, und wenn man mit ihm analysiert, dann merkt man, dass er Schach versteht.
Ich selbst verteidige, provoziere und kontere gerne. Die folgenden Partien sind typisch.

Ähnlich verlief auch meine Partie gegen den Franzosen Degraeve.


Gegen den Amerikaner Ashley gelang mir einmal eine wirkliche Verteidigungsleistung. Bereits kurz nach der Eröffnung geriet mein König in Gefahr und in haarsträubenden Komplikationen konnte er sich immer wieder retten. Als sich Schwarz im Endspiel endlich konsolidieren konnte, stand Weiß schnell auf Verlust.


Typisch für mein Spiel ist auch die folgende Partie gegen Cicak. Nach
zurückhaltender Eröffnung komme ich immer besser ins Spiel und kann am Ende
gewinnen. Gegen Cicak hatte ich ein überragendes Ergebnis. Zählt man Schnell- und Blitzpartien zusammen, kommt man vielleicht auf einen Score von 10:0. Dies war unsere erste Turnierpartie. Ich wollte ihn mit Caro-Kann überraschen – und das ist auch geglückt.


BOTWINNIK UND FISCHER
Systematisch trainiert habe ich einmal eine Woche lang mit Mikhail Botvinnik. Er war in der Pulvermühle zu Gast, wieder hatte Lothar Schmid die Verbindung hergestellt. Botvinnik war schon recht alt, er konnte kein Deutsch und kein Englisch, da musste immer ein Übersetzer dolmetschen, aber es war sehr interessant. Wir haben jeden Tag ein bis drei Stunden trainiert, ich musste meine Partien vorführen und erzählen, was ich mir dabei gedacht habe. Am Ende hat Botvinnik dann ein Resümee mit meinen Stärken und Schwächen aufgestellt. Die Liste mit den Schwächen war lang, und damit ich besser werde, hat er mir sein Buch über Karpows Weg zur Weltmeisterschaft empfohlen. Die Liste mit Stärken hingegen war sehr kurz und enthielt nur einen Punkt: Er sagte, er sieht, dass ich sehr gerne Schach spiele.

So war er eben. Aber es war beeindruckend. In nur wenigen Partien hat er gesehen, dass ich eigentlich viel lieber Blitz spiele. Botvinnik hat Schach wirklich verstanden, er konnte Schach lesen, er brauchte nur ein bisschen was zu sehen und wusste schon Bescheid.

Michail Botwinnik (Foto: Wikipedia)

Michail Botwinnik (Foto: Wikipedia)

Sehr bekannt ist auch, dass Bobby Fischer 1991 für drei Monate in der Pulvermühle zu Gast war. Er war in dieser Zeit tatsächlich in die Familie integriert. Allerdings hat er nie verraten, was er gemacht hat, als er zeitweilig von der Schachszene verschwunden war. Da hat er immer abgeblockt.

Fischers Zugang zum Schach war ganz anders als der von Botwinnik. Während Botwinnik kaum konkret analysiert hat, sondern immer allgemeine Ratschläge und Einschätzungen gab, war Fischer sehr konkret. Er wollte immer alles ganz genau wissen und sein Schach war absolut beeindruckend. Er hatte ein unglaubliches Gespür für die Stellung, einen sehr tiefen Blick für die jeweiligen Möglichkeiten und er hat das Wesen der Stellung immer schnell erkannt, taktische Tricks und Möglichkeiten sowieso. Eigentlich wusste er fast immer, was zu tun ist. Er fällte kategorische Urteile, war aber immer objektiv, und wenn er sich – was selten vorkam – in seiner Einschätzung der Stellung geirrt hatte, dann gab er das zu und revidierte sein Urteil. Die Wahrheit im Schach stand für ihn an höchster Stelle, er versuchte die Stellung objektiv einzuschätzen.

Und Fischer war auch zu dieser Zeit immer noch ein Schachfanatiker, der eigentlich jede Nacht aufblieb und Schach spielte. Auch meine Partien wollte er immer sehen. Zu der Zeit lief auch das Match Kasparow-Karpow, aber das hat ihn nicht interessiert. Er hat die Partien nicht verfolgt, aber wenn man ihm eine Stellung aus dem Wettkampf gezeigt hat ohne die Namen der Spieler zu verraten, dann war er immer interessiert.

Auch Studien und Kompositionen hat er mit Feuereifer gelöst. Ich selbst bin ein großer Fan von Studien und habe viel Material und gelegentlich habe ich ihm ein paar Aufgaben gezeigt. Viele hat er sehr schnell und sofort gelöst, aber wenn er die Lösung nicht gefunden hat, dann ist er in sein Zimmer gegangen, um nach der Lösung zu suchen, wobei er nicht aufgegeben hat, bis er sie gefunden hatte. Und da er keinen Computer besaß, muss er alle diese Aufgaben allein gelöst haben. Teilweise waren das sehr anspruchsvolle Kompositionen.

Bobby Fischer bei der Schacholympiade Leipzig 1960 (Foto: Wikipedia)

Bobby Fischer bei der Schacholympiade Leipzig 1960 (Foto: Wikipedia)TURNIERORGANISATOR
Doch zurück zu meiner Schachlaufbahn, die kurioserweise zu Ende ging, nachdem ich 1998 GM geworden bin. Ich habe angefangen, BWL zu studieren und bin unter die Turnierorganisatoren gegangen, indem ich das Pyramiden-Open organisiert habe. Das Pyramiden-Hotel suchte nach einer Sportveranstaltung, da sie im Sommerloch immer Schwierigkeiten hatten, ihre Zimmer voll zu kriegen. Mein Bruder, Vertriebsleiter einer Firma für Hotelsoftware, stellte den Kontakt her und ich habe dann mit dem Hotelbesitzer die Eckpfeiler der Turnierorganisation abgesteckt. Das Hotel wollte ein Turnier gehobenen Standards, und so haben wir mit 200 DM Startgeld für Nicht-Titelträger relativ viel Geld verlangt.

Sehr geholfen hat mir immer Rainer Niermann, ein sehr guter und hilfreicher Mann und das Pyramiden-Open wurde schnell ein Erfolg. Im ersten Jahr kamen 56 Teilnehmer, im zweiten bereits 112 und im dritten schließlich etwa 150. Als Organisator konnte ich meine Ideen umsetzen, was ein solches Turnier bieten sollte. Wichtig war mir immer, dass die Großmeister in das Rahmenprogramm eingebunden werden, dass sie Partien vorführen, kleine Vorträge halten und Geschichten erzählen. Ich weiß, dass ihnen das wenig Mühe macht, aber beim Publikum immer sehr gut ankommt.

Das dritte Pyramiden-Open, bei dem parallel der Länderkampf Griechenland – Deutschland ausgetragen wurde, war der Höhepunkt dieses Turniers. Und bekanntlich soll man aufhören, wenn es am schönsten ist. Ich selbst saß an meiner Diplomarbeit als es Zeit gewesen wäre, das nächste Turnier zu organisieren und wollte endlich mit meinem Studium fertig werden. Und so ist das Pyramiden-Open allmählich eingeschlafen.

Aber für mich war es eine sehr schöne Erfahrung, ein solches Turnier zu organisieren und ich würde das immer wieder machen. Tatsächlich mache ich das auch wieder, allerdings in sehr viel kleinerem Maßstab. In Nürnberg findet jedes Jahr das LGA-Open statt und dort berate ich die Organisatoren, sage ihnen, worauf man achten muss und kann Spieler einladen. Großmeister und Internationale Meister, die Konditionen bekommen. Der Sponsor steht voll hinter dem Konzept und da eine ganze Reihe von Spielern eingeladen werden können, wird es ein attraktives Turnier werden.

Außerdem organisiere ich zusammen mit meinem Bruder die Turniere in der Pulvermühle. Das erste fand im Jahr 2000 statt. Die Idee kam meinem Bruder und mir als wir 1997/98 zu Besuch in Island waren und den Ort besucht haben, wo Fischer und Spasski gegeneinander gespielt haben. Mein Bruder meinte, so etwas müsste man auch in Deutschland haben. Er meinte jedoch auch, dass ich zuerst GM werden müsse, bevor wir ein eigenes Turnier organisieren könnten, da es einfach nicht ginge, meine letzte GM-Norm im eigenen Hause zu machen.

Bei der Finanzierung helfen eine Reihe einzelner Sponsoren. Eigentlich wollten wir das Turnier alle zwei Jahre stattfinden lassen, aber leider ist mein Vater gestorben, da hat sich einiges verschoben und wir haben erst einmal bis 2004 gewartet, bis wir das Turnier fortgesetzt haben. 2006 bildete dann die Teilnahme von Kortschnoi einen Höhepunkt dieser Turniere.

BUNDESNACHWUCHSTRAINER
Doch zurück ins Jahr 2000, wo wieder eine neue Aufgabe auf mich zu kam: Ich wurde Bundesnachwuchstrainer. Ich hatte vorher schon regelmäßig Jugendliche trainiert, und als die Stelle ausgeschrieben wurde, meinte mein Bruder, ich solle mich doch bewerben. Ich wurde genommen, wobei ich als Bundesnachwuchstrainer noch sehr jung war. Doch ich hatte Ideen, was ich machen wollte, und meine Hauptidee war es, eine Jugendnationalmannschaft aufzubauen, die zusammen arbeiten, analysieren und gemeinsam besser werden sollten. Denn das schien und scheint mir in Deutschland ein Problem zu sein: Die mangelnde Zusammenarbeit der Spieler untereinander, es findet wenig Austausch und gemeinsame Arbeit statt.

Mir hat die Arbeit Spaß gemacht, obwohl ich eigentlich weniger trainiert als organisiert habe. Aber gut, mir macht halt auch das Organisieren Spaß. Ich selbst habe als Bundesnachwuchstrainer dann auch sehr viel weniger gespielt als vorher.

SCHACH ALS HOBBY
Doch 2002 endete der Job als Bundesnachwuchstrainer und auch mein Studium kam zum Abschluss. Dann kam das Erstaunliche: In der Zeit nach dem Studium habe ich in drei bis vier Monaten 80 Elo-Punkte gewonnen. Das Turnier in der Pulvermühle gewann ich zusammen mit Jan Gustafsson und außerdem habe ich in den verschiedenen Ligen, in denen ich gespielt habe, Punkte gewonnen. Plötzlich war ich bei 2530 gelandet, damals die höchste Zahl, die ich je hatte. Jetzt habe ich mit 2534 sogar noch ein paar mehr Punkte.

Wenn man weniger spielt, ist man motivierter, man ist hungrig, man will Schach spielen und das Schach genießen. Spielt man viel, hat man oft nur noch Angst vor dem Verlieren. Betreibt man Schach als Hobby, ist man lockerer und Schach macht mehr Laune. Und ob man ein paar Züge mehr oder weniger Theorie kennt, ist dann vollkommen egal.

Geändert hat sich meine Einstellung nach dem Turnier in der Pulvermühle. Eine Partie, die eine Wende eingeläutet hat, war die gegen Prusikin.


Nach dieser Partie habe ich gemerkt: Angreifen macht Spaß. Die Figuren entwickeln, die Türme in die Mitte und opfern. Und seit 2004 hat sich meine Weißbilanz auch enorm verbessert. In aller Bescheidenheit: Sie ist brutal gut. Hier deshalb noch eine kürzlich gespielte Partie, die früher so nicht möglich gewesen wäre.


Im Moment spiele ich spiele nur noch ein Turnier pro Jahr. Nach Ende meines Studiums habe ich angefangen zu arbeiten, ich arbeite bei der Datev in Nürnberg als Software-Entwickler. Die Arbeit macht Spaß, und ich bin mit der Entwicklung meiner Schachkarriere und beruflichen Laufbahn sehr zufrieden.

Aufgezeichnet von Johannes Fischer

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